Die Umsetzung: Kanye West rettet Adidas
Auch der damalige Adidas-Vorstandschef räumt ein, dass die Herzogenauracher in den Vereinigten Staaten den Bezug zur Basis verloren hatten. „Wir brauchen engeren Kontakt zum Kunden in den USA“, forderte Hainer 2015. Adidas benötigte dringend wieder einen Botschafter, der die eingestaubte deutsche Marke auf der Straße mit Coolness aufladen konnte, wie es die Rapper Run DMC in den 80er-Jahren einst getan hatten und den Herzogenaurachern sogar den Hit „My Adidas“ gewidmet hatten.
Die Chance dazu bot ein Rap-Superstar, der ausgerechnet beim Rivalen Nike unzufrieden war und von Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton, der bereits bei der Adidas-Tochter Reebok unter Vertrag stand, vermittelt wurde: Kanye West. Der Ehegatte von Dokusoap-Darstellerin Kim Kardashian hatte schon immer überlebensgroße Ambitionen: Mal sah er sich als Wiedergänger von Steve Jobs, mal als größter Rapper aller Zeiten, mal als Mode-Ikone. West strebte nach kreativer Freiheit beim Entwurf eigener Kollektionen für ein großes Label bei gleichzeitiger Erfolgsbeteiligung – ein Blankoscheck, den Nike nur Sportlegenden wie Michael Jordan auszustellen bereit ist. Mit dem Rücken zur Wand ging Adidas den ungewöhnlichen Deal mit West ein, der dem Hip-Hopper nach Spiegel-Angaben bis zu 15 Millionen Dollar im Jahr einbringen soll. Der „Golddigger“-Rapper entwarf für Adidas seine Yeezy-Kollektion: hochpreisige Sportschuhe, die in streng limitierter Auflage erscheinen und dadurch einen regelrechten Hype entzünden und später für mehrere Tausend Dollar auf Ebay angeboten werden. „Kann Kanye Adidas retten?“ titelte Fortune dramatisch im Sommer 2015.
Die Hürden: Problemfall Reebok
Zwei Jahre später sieht es ganz danach aus. Obwohl sich der Erfolg von Wests Yeezy-Kollektion noch kaum merklich in der Bilanz widerspiegelt, hat der streitbare Hip-Hop-Superstar dem deutschen Sportartikler in den USA maßgeblich eine neue DNA eingepflanzt – langfristig soll Yeezy zur Kultmarke mit eigenen Läden in den Weltmetropolen aufgebaut werden. Erzrivale Puma folgte dem Vorbild, einen Werbeträger aus der Popkultur einzusetzen, mit der Verpflichtung von R&B-Superstar Rihanna. „Ich glaube, man muss feststellen, dass sich Sport in Mode, Lifestyle, in Streetwear verwandelt hat“, philosophiert Herbert Hainer in Fortune. „Ich würde schätzen, dass 80 Prozent der verkauften Basketballschuhe niemals auf einem Basketballplatz getragen werden. Sie werden getragen, um einen Status aufzubauen und cool zu sein.“ Der Umdenkprozess ist bis heute nicht abgeschlossen. „Amerika ist das zentrale Langfristprojekt für uns“, gab Hainers Nachfolger Rorsted unlängst gegenüber der Wirtschaftswoche zu. Das liegt nicht zuletzt am Problemfall Reebok, das bis heute ein Underperformer bleibt. „Die Marke ist derzeit ein Verlustbringer. Wir müssen sie dringend drehen“, gesteht der Däne ein. Dafür hat Rorsted die Tochter von der Konzernmutter auch räumlich getrennt von Portland nach Boston versetzt. „Wer dort sitzt, arbeitet künftig ausschließlich für Reebok und bekommt die Freiheit, Entscheidungen ohne Rücksicht auf die Schwestermarke zu treffen. Die neue Unabhängigkeit ist für Reebok eine Chance“, glaubt der Adidas-Chef. Noch zwei bis drei Jahre gibt Rorsted den Restrukturierungsmaßnahmen bei Reebok Zeit.
Die Erfolgskennziffern: Der erste Milliardengewinn der Konzerngeschichte
Trotz des Ballasts von Reebok steht Adidas heute so gut da wie nie zuvor. Im abgelaufenen Geschäftsjahr konnten die Herzogenauracher bei einem Rekordumsatz von 19,3 Milliarden Euro erstmals einen Milliardengewinn (1,02 Milliarden Euro) verbuchen. Der Aufwärtstrend setzt sich im ersten Quartal mit einem Umsatzplus von 16 Prozent und einem Gewinnwachstum von 30 Prozent nahtlos fort. „Wir sind dank einer anhaltenden Umsatz- und Gewinndynamik stark ins Jahr gestartet. Unsere wichtigsten Marken – Adidas und Reebok – sowie alle unsere bedeutenden Märkte haben zweistellige Umsatzsteigerungen erzielt“, freut sich Adidas-Chef Rorsted. Zum Wachstumstreiber Nummer eins ist dabei ausgerechnet der langjährige Problemfall USA geworden: In Nordamerika zogen die Erlöse in den ersten drei Monaten des Jahres um 31 Prozent an – so stark wie in keiner anderen Region der Welt. Passendes i-Tüpfelchen: Mit dem Retro-Sneaker „Superstar“ konnte Adidas in den USA auch noch vor Dauersieger Nike den meistverkauften Schuh verbuchen.
Der Ausblick: Mit Online-Offensive, Real Madrid und Schuhen aus dem 3.D-Drucker in den Dauer-Marathon mit Nike
Trotz des furiosen Comebacks will der ehrgeizige neue Adidas-Chef keinesfalls beim Wachstumstempo nachlassen, sondern im Dauer-Marathon mit Nike weiter den Sprint anziehen. Der Abstand zum Branchenprimus ist zweifellos weiter gewaltig: Nike setzte im vergangenen Geschäftsjahr 52 Prozent mehr ab und verdiente dreieinhalbmal so viel wie Adidas. An der Börse wird die Aktie der Firma mit dem Namen der griechischen Siegesgöttin mit einem Börsenwert von 90 Milliarden Dollar im Vergleich zu Adidas’ Marktkapitalisierung von 37 Milliarden Euro mehr als doppelt so hoch bewertet. Doch der Trend ist der Freund der Franken: Während Nikes Erlöse im vergangenen Jahr nur um sechs Prozent zulegten, wachsen Adidas’ Umsätze aktuell mehr als doppelt so schnell. Um das Tempo hoch zu halten, setzten die Herzogenauracher verstärkt auf das boomende Onlinegeschäft, das bislang die erste Milliarde Euro zu den Umsätzen beiträgt. Nach Einschätzung von Kasper Rorsted besitzen Adidas’ E-Commerce-Aktivitäten das Potenzial, die Erlöse bis 2020 auf vier Milliarden Euro zu steigern.
Gelingen soll das mit ausgeklügelteren Produkten. Im vergangenen Jahr stellte der Dax-Konzern einen recycelbaren Schuh vor, der aus umfunktionierten Plastikabfällen aus den Ozeanen hergestellt wird. Zudem werden Kunden ihren Laufschuh künftig nach ihrem individuellen Profil sogar aus dem 3-D-Drucker bekommen. „Durch den Einsatz von 3-D-Druck können wir erstklassige Laufschuhe herstellen und dabei die individuellen Performance-Daten des Läufers nutzen. Durch diese besondere Verknüpfung entstehen wirklich maßgeschneiderte Lauferlebnisse für jeden Athleten“, frohlockt Markenchef Eric Liedtke. Um die Ambitionen zu unterstreichen, haben die Franken vor zwei Jahren den österreichischen App-Anbieter Runtastic erworben.
Am Ende läuft das Geschäft jedoch wie beim alten Adi Dassler, der sich einst ärgerte, dass er seine Athleten noch für das Tragen seiner Schuhe mit einer paar Tausend Mark bezahlen musste. Ein halbes Jahrhundert später haben sich die Einsätze verzehntausendfacht: Wie der Spiegel berichtet, will sich Adidas die Verlängerung des Ausrüstervertrags mit Champions-League-Rekordsieger Real Madrid über weitere zehn Jahre eine stolze Milliarde Dollar kosten lassen. Am Ende schießt Geld eben nicht nur Tore, sondern verkauft auch Sportartikel …