Es gibt wenige deutsche Konzerne mit einer Tradition wie Adidas: Die Drei-Streifen-Marke aus Herzogenaurach verbindet drei bis vier Nachkriegsgenerationen miteinander – durch den Volkssport Fußball. 1954 gewann die deutsche Nationalmannschaft legendär im Berner Wankdorfstadion mit Fritz Walter und den revolutionären Schraubstollenschuhen von Adidas erstmals die Weltmeisterschaft, 20 Jahre später waren die Franken bei der Heim-WM auch als Trikotausrüster präsent, als Franz Beckenbauer den Weltpokal in die Höhe stemmte. 1990 schoss Andy Brehme in Schuhen mit den drei Streifen in Rom den entscheidenden Elfmeter zum Siegestor, während sich 24 Jahre später in Rio das blutverschmierte Adidas-Trikot von Bastian Schweinsteiger ins kollektive Gedächtnis der Nation einbrannte.
Keine Frage: Adidas ist bis heute die große deutsche Sportmarke – doch die Entwicklung durch die Jahrzehnte verlief so wechselhaft wie bei der Nationalmannschaft. Legendär ist die Entstehung des mit Abstand größten deutschen Sportartikelkonzerns, der aus dem Familienunternehmen zweier ungleicher Brüder hervorging – der Dasslers. Schon in den 20er-Jahren entwarfen die Brüder Adolf und Rudolf in der Waschküche der Familie Turnschuhe, die optimal an den Fuß der Sportler angepasst waren. Schnell wurden die Dasslers über die Stadtgrenzen bekannt und statteten bald die deutsche Leichtathletikmannschaft bei den Olympischen Spielen in Amsterdam 1928 aus; weltbekannt wurden die Dasslers indes durch die vier Goldmedaillen von Jesse Owens in Berlin 1936. Dann kam der Zweite Weltkrieg, der die Produktion zum Erliegen brachte.
Adidas: Ein Weltkonzern mit bewegter Vergangenheit
Mit dem Neustart jedoch spaltete sich das Familienunternehmen angesichts der aufkommenden Konflikte zwischen den zwei Brüdern in zwei neue Firmen auf – Adidas, ein Kurzwort, das sich aus Dasslers Spitznamen Adi und den ersten drei Buchstaben seines Nachnamens zusammensetzte, und Puma, das von seinem Bruder Rudolf geführt wurde. Die Rivalität, die zuletzt im ARD-Zweiteiler „Die Dasslers“ verfilmt wurde, ist legendär und brachte in der Folge gleich zwei Sportartikelkonzerne von Weltrang hervor, die – wie bis heute im Silicon Valley zu sehen – vom Geist ihrer Gründer lebten. Als Rudolf und Adolf Dassler 1974 beziehungsweise 1978 verstarben, geriet sowohl Puma als auch Adidas unter der Führung der Söhne ins Schlingern.
Die Folge: Die Erben verloren die Nerven und verkauften Adidas 1990 einen Tag vor dem deutschen WM-Finale an den französischen Geschäftsmann Bernard Tapie für gerade mal 470 Millionen Mark. Es folgten unruhige Jahre mit Eigentümerwechsel (auf Tapie folgt Robert Louis-Dreyfus), dem Börsengang 1995 – und vor allem der Überrundung durch Nike.
Die Ausgangslage: Von Nike überrundet, von Under Armour attackiert
Adidas’ vier Jahrzehnte lange Dominanz ging in den späten 80er-Jahren mit dem Aufkommen des amerikanischen Rivalen Nike zu Ende. Adidas hatte nach dem Tod des Gründers gleich mehrere Trends verpasst: die aufkommende Fitnesswelle, die Bedeutung des Joggings als Massenmarkt, den Nike mit einer „Air“-Kollektion besetzte, vor allem jedoch die Weiterentwicklung von Sportartikeln als Modestatement, das Nike mit afroamerikanischen Superstars wie Michael Jordan in die Popkultur transportierte.
Die Drei-Streifen-Marke hatte dem wenig entgegenzusetzen und versuchte mit teuren Akquisitionen weiter zu wachsen: 1997 wurde der französische Wintersportausrüster Salomon für umgerechnet 1,2 Milliarden Euro übernommen, acht Jahre später machte der langjährige Vorstandschef Herbert Hainer für Reebok gar 3,1 Milliarden Dollar locker, um auf dem amerikanischen Markt nicht vollkommen in Vergessenheit zu geraten. „Eines Tages wollen wir wieder die Nummer eins auf dem weltweiten Sportartikelmarkt sein“, blies Hainer zur Aufholjagd. Doch beide Wetten entpuppten sich als kostspielige Fehlkalkulationen: Salomon wurde nach acht Jahren für nicht einmal die Hälfte des Kaufpreises wieder abgestoßen, Reebok schreibt bis heute Verluste. Vor allem jedoch in den USA, dem größten Sportartikelmarkt der Welt, wurden die Franken immer weiter abgehängt und sogar von Emporkömmlingen wie dem einstigen Funktionsunterwäsche-Hersteller Under Armour überholt.
Nur drei Wochen nachdem Philipp Lahm im Juli 2014 den Weltpokal in die Höhe gestemmt und Adidas die maximale mediale Aufmerksamkeit beschert hatte, musste Konzernchef Hainer eine geharnischte Gewinnwarnung herausgeben. Die Adidas-Aktie war auf ein Mehrjahrestief abgestürzt. „Gerade nach einer gewonnenen WM fragt man sich, wann es denn eigentlich gut laufen soll, wenn nicht jetzt“, reagierte ein Händler kopfschüttelnd auf den Absturz des zweitgrößten Sportartikelherstellers. Es musste etwas passieren.
Die Aufgabenstellung: Turnaround in den USA – aber wie?
Adidas’ größte Schwäche lag fraglos im Nordamerika-Geschäft, in dem 40 Prozent der weltweiten Sportartikelverkäufe erzielt werden. Adidas verzeichnete in den USA 2014 jedoch 2014 einen Absatzeinbruch von sieben Prozent und fiel bei den Schuhverkäufen sogar hinter die North-Face- und Timberland-Mutter VF Corp zurück. „Adidas leidet unter seinem zu europäischen Image“, gab Analyst Cédric Rossi von der Pariser Investmentbank Bryan, Garnier & Co zu bedenken. „Ich glaube nicht, dass amerikanische Teenager an Adidas denken, wenn sie neue Basketballschuhe kaufen wollen.“ Und das, obwohl die Franken 2006 für 400 Millionen Dollar die Rechte erwarben, als Top-Sponsor der US-Basketball-Liga NBA zu debütieren. Traurige Bilanz nach einer Dekade: Adidas’ Marktanteil bei Basketballschuhverkäufen lag 2015 bei gerade mal drei Prozent. „Wir waren nicht genug im amerikanischen Sport präsent“, gab Herbert Hainer 2015 im Interview mit dem US-Wirtschaftsmagazin Fortune zu. „Wir haben definitiv Fehler gemacht. Wir waren überall in der Welt erfolgreich. In den USA haben wir aber nicht genug investiert“, äußerte sich Adidas’ Konzernchef selbstkritisch.
Das Turnaround-Team: Mark King, Eric Liedtke und Kasper Rorsted
„Wir hatten lange nicht das optimale Team“, gibt auch der neue Vorstandschef Kasper Rorsted, der Hainer im Oktober 2016 nach 15 Jahren als Vorstandschef abgelöst hat, im Gespräch mit der Wirtschaftswoche zu. Der 55-jährige Däne, der vor Adidas acht Jahre lang die Geschicke des Konsumgüterriesen Henkel führte, gilt als harter Hund, der gnadenlos auf Renditemaximierung fixiert ist. Eingeleitet wurde Adidas’ Turn-around in den USA bereits vor Rorsteds Verpflichtung vom langjährigen CEO von Adidas’ Golfmarke Taylor Made: 2014 wurde Mark King zum Nordamerika-Chef ernannt. Zudem rückte der Amerikaner Eric Liedtke als Markenchef in den Vorstand auf. „Beide stellen sicher, dass wir US-Konsumenten die richtigen Produkte anbieten“, berichtet Rorsted heute. Liedtke, der vor der Ernennung von Rorsted auch als nächster CEO gehandelt wurde, stellte alles auf den Prüfstand. „Adidas brauchte einen Neustart“, erklärte der 50-Jährige vor zwei Jahren dem US-Wirtschaftsmagazin Fortune. Gerade bei jungen Athleten sei die Drei-Streifen-Marke stark in der Gunst gefallen: „Ich glaube, bei vielen Schuhkäufern war Adidas gar nicht mehr in der näheren Auswahl. Das hat mir das Herz gebrochen“, schildert Liedtke die Ausgangslage des Turnarounds.