Da tauchte in Berlin vor zwei Wochen ein Plakat der CDU auf. Darauf stand groß: „Gratis Zigaretten für Neumitglieder“. Schnell wurde klar: Hier hat eine Künstlergruppe eingegriffen, um auf die Einführung des Tabakverbots hinzuweisen, welches von der CDU blockiert wird. Die Gruppe dahinter: „Dies Irae“.
Protestform: angesiedelt zwischen Kunst und Politik
Adbusting heißt das Zerstören oder Verfremden von Unternehmenswerbung. Künstler gestalten Plakate neu, verändern die Botschaft und wollen so im öffentlichen Raum auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam machen. Aber wer sind die Köpfe hinter einem Kollektiv wie „Dies Irae“, das für das CDU-Plakat verantwortlich ist? „Wir kritisieren mit unseren Aktionen die kommerzielle Nutzung des öffentlichen Raums durch Außenwerbung. Wir wollen nicht hinnehmen, dass der öffentliche Raum zunehmend mit Werbung zugeballert wird“, lautet die Antwort auf Anfrage der absatzwirtschaft. Für die Gruppe von Künstlern und Journalisten sollte der öffentliche Raum der Gesellschaft dienen. Bereits vergangenes Jahr prangerte die eigenen Angaben nach sich selbst finanzierende Künstlergruppe die Partei von Kanzlerin Angela Merkel an. Damals mit einem anderen Thema:
Es geht also mehr um die Veränderung von Außenwerbung als um die Botschaft? „Im öffentlichen Raum hat Werbung die besondere Eigenschaft, dass ich mich ihr nicht entziehen kann.“ Die Botschaft ist aber genauso wichtig, so die Aktivisten, die damit eine fundamentale Kritik zum Ausdruck bringen wollen:
Greenwashing Kampagnen täuschen über die wahren Probleme hinweg und gaukeln uns vor, dass alles in bester Ordnung sei. Werbung hat es geschafft, dass wir den Konsum an sich schon für etwas Erstrebenswertes halten, ohne zu kritisch hinterfragen, was die Kehrseite unserer materiellen Selbstverwirklichung ist. Es darf uns auch nicht wundern, dass die meisten Frauen unzufrieden mit ihrem Körper sind, wenn sie überall mit Photoshop manipulierte Models sehen. Kinder, die noch gar nicht wissen was die Absicht von Werbung ist, sind für Werbetreibende nicht zuallererst Kinder, sondern eine interessante Zielgruppe, weil sie über mehr Geld denn je verfügen. Je früher sie an Marken gewöhnt werden, desto treuer bleiben sie diesen auch im Erwachsenenalter.
Wie reagieren die Unternehmen?
Nur sehr selten werden Plakate von Dies Irae von Unternehmen aufgegriffen. Schließlich würde das die Aufmerksamkeit erhöhen, so erklärt es zumindest die Gruppe. „Selten müssen Unternehmen auf Plakate reagieren wie zum Beispiel beim Coca Cola-Weihnachtsmann, der der AfD keine besinnliche Zeit wünscht.“
Der Aufsteller auf dem Berliner Lützowplatz mit der Aufschrift „Für eine besinnliche Weihnachtszeit. Sag Nein zur Afd“ stammt nicht vom Softdrinkhersteller Coca Cola, sondern von der Plattform AfDentskalender. Dies ist eine Initiative, die bis Weihnachten unterschiedliche Aktionen zum Thema Gleichberechtigung startet – es geht also nicht immer nur um politische Aktionen. Coca-Cola sagte gegenüber Horizont, dass sie mit dem Plakat nichts zu tun hätten. Doch Patrick Kammerer, Director Public Affairs & Communications bei Coca-Cola Deutschland, sympathisierte zumindest mit dem Plakat via Twitter mit dem Spruch „nicht jeder Fake muss falsch sein“. Dies Irae würde solch eine Aktion nicht durchführen, erklären sie gegenüber absatzwirtschaft. Sie wollen keine positive Werbung machen, auch nicht für mehr Aufmerksamkeit.
Mit Rechtsstreitigkeiten muss sich die Gruppe auch auseinandersetzen. „Bisher gab es eine Strafverfolgung von H&M gegen uns wegen übler Nachrede, Verleumdung und Nötigung.“ Der Grund damals war eine Stellenanzeige von „H&N (Hungerlohn & Naturzerstörung)“. Fotos von Plakate suggerierten, dass es sich um echte Stellenanzeigen der Modekette H&M. Tatsächlich waren es Anklagen gegen den schwedischen Konzern, mit massiven Vorwürfen der Arbeitsbedingungen. „Die Staatsanwaltschaft hat das Strafverfahren aber eingestellt. Leider. Wir hätten uns auf die Auseinandersetzung gefreut. Sehr sogar“, erklärt Dies Irae. Nachrede, Verleumdung und Nötigung: Die Staatsanwaltschaft Hamburg sah laut Dies Irae kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung.
Was sich beim Thema Außenwerbung ändern müsste, darauf hat die Gruppierung eine klare Meinung: Werbefreie Städte wie in der brasilianischen Großstadt São Paulo. Dort beschloss der damalige Bürgermeister 2017 das „Gesetz der sauberen Stadt“. Alaska, Hawaii, Maine oder Vermont sind ebenfalls frei von Außenraumwerbung. In Europa entschloss sich 2014 Grenoble in Frankreich als erste Stadt zu diesem Schritt. Für Luzern liegt ein Antrag vor und in Berlin gibt es einen Volksentscheid „Berlin Werbefrei“.
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