Der Erpressung nicht nachgeben

AdBlocker, Klickbetrug, mangelnde Markttransparenz und fallende Preise. „Vieles ist auf dem Weg, aber nichts ist fertig“, poltert der OWM. Am Abend vor der dmexco traf sich absatzwirtschaft mit Vermarkter Paul Mudter (IP Deutschland), Media-Agenturchef Manfred Klaus (Plan.net) und Technologie-Anbieter Holger Schöpper (Ooyala) im Rahmen einer Veranstaltung des BVDW, um die Thesen zu diskutieren
Paul Mudter (IP Deutschland; l.), Manfred Klaus (Plan.net; M.) und Holger Schöpper (Ooyala, r.)

Alle Jahre wieder zur Dmexco diskutiert die digitale Werbebranche die Fragen, ob man die Wirkung von Onlinewerbung genau genug messen kann, ob zum Beispiel Markenwerte schnell genug erfasst und ausgewertet werden, um zur Optimierung einer Kampagne herangezogen zu werden, und ob allmählich Vergleichbarkeit zwischen den unterschiedlichen Werbemedien – vor allem zwischen Digital und Klassik – hergestellt sei. Treibende Kraft in der Diskussion sind vor allem die werbetreibenden Unternehmen, die ihre Gelder optimal verteilt sehen wollen.

In diesem Jahr hat Nestlés Mediachefin Tina Beuchler Öl ins Feuer gegossen. Sie und die Organisation der Werbungtreibenden im Markenverband (OWM) kritisieren gravierende Mängel in Sachen Berichtsqualität, Markttransparenz und beim Kampf gegen AdBlocker und Betrug. „Vieles ist auf dem Weg, aber nichts ist fertig“, poltert der OWM. Selbstkritisch räumen Manfred Klaus, Holger Schöpper und Paul Mudter in einem Gespräch mit absatzwirtschaft Verbesserungsbedarf ein, erinnern die Werber aber auch an ihre Eigenverantwortung in Sachen Qualitätssicherung.

Herr Klaus, Tina Beuchler sagt, nichts ist fertig. Sie sagen, wir haben alles, was wir brauchen. Wie passt das zusammen?

Manfred Klaus: Es wird in den letzten Jahren immer mehr Geld in Onlinewerbung investiert und das bedeutet doch, dass die Marktteilnehmer zumindest zu einem gewissen Grad schon wissen, was sie da tun. Das heißt nicht, dass wir nicht permanent dazulernen und versuchen Dinge besser zu machen. Wir sind noch ein ganzes Stück weit weg von Optimal. Da geht noch viel mehr. Aber wir haben für praktisch alle Aufgaben heute schon Lösungen parat. Lösungen, die sich jede Agentur im Alltag erarbeiten muss.

Es kann aber doch nicht Sinn der Marktentwicklung sein, dass sich die Agenturen über Messlösungen differenzieren. Die Werbungtreibenden verlangen doch seit Jahren nach Standards.

Klaus: Die Forderung ist berechtigt und daran wird auch gearbeitet. Ob die Digitalbranche schnell genug ist bei der Entwicklung von Standards, die Frage stellen wir uns seit Jahren. Aber schauen Sie auf die AG.MA, die haben glaube ich 22 Jahre gebraucht. Bei Standards muss man sich ja immer auch fragen: Was bringt das? Bei Werbemitteln hat es viel gebracht für die Abwicklung und Optimierung. Beim Thema Messmethoden wird man Lösungen finden, aber die Frage ist, inwieweit dadurch Probleme der Kunden gelöst werden.

Paul Mudter: Aber man kann schon ganz klar sagen: Nein, wir sind nicht schnell genug.

Ein aktuelles Problem der Werbungtreibenden ist das Thema AdBlocking. Studien sprechen von einer Quote zwischen 20 und 25 Prozent aller Auslieferungen. Ist schlechte Werbung die Ursache?

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Mudter: Es gibt eine Reihe von Kriterien, die dazu beitragen. Zum Beispiel die Anzeigendichte, also der AdClutter, kann eine Ursache sein. Und es war in den letzten Jahren tatsächlich so, dass viele Publisher keine andere Lösung sahen, um den sinkenden Preisen zu begegnen, als mehr Anzeigen zu platzieren. Das ist an einem Wendepunkt angelangt und wir sehen Gott sei Dank die Preise wieder steigen. Bei den Publishern entwickelt sich ein Bewusstsein dafür, dass weniger mehr sein kann. AdClutter ist ein wichtiges Kriterium, das in die Bewertung der Werbeplatzierung einfließen muss. Vielleicht noch nicht dieses Jahr, aber es wird kommen.

Ist die Anzeigendichte ein Differenzierungsmerkmal zwischen Publishern?

Mudter: Wir haben eigene Untersuchungen gemacht und sehen ganz klar, dass die Markenwahrnehmung steigt, wenn sich der AdClutter verringert. Das ist aus Sicht der Werbungtreibenden zweifellos ein Qualitätsmerkmal. Ob sich das direkt in Zahlungsbereitschaft umsetzen lässt, sehe ich kritisch, aber mittelfristig wird das kommen.

Aber bis dahin gibt es AdBlocker und die kosten Reichweite. Wie gehen Sie damit um?

 Mudter: Ich glaube, der fairste Weg ist es, AdBlocker zu blocken und trotzdem Werbung auszuliefern. Die Alternative wäre ja, den Content ganz zu verstecken. Das kann nicht das Ziel sein.

Holger Schöpper: Neben AdClutter halte ich auch AdLoad und Frequency Capping für sehr wichtig, denn natürlich ist das Installieren eines AdBlockers auch eine Reaktion auf zu viel Werbung vom gleichen Absender. Inzwischen sind wir technisch in der Lage, AdLoad, also die Menge, Größe oder Dauer der von einem Absender verschickten Werbung an das Nutzerverhalten anzupassen. Engagiert sich der Nutzer bei einem Thema, kann man ihm ja durchaus mehr von diesem Thema anbieten. Da ist dann eben nicht Weniger Mehr. Und auch dadurch wird die Akzeptanz beim Nutzer steigen. Wichtig ist eben, dass man solche Dinge misst und damit arbeitet. Aktuell müssen wir mit der Situation leben und Strategien dafür entwickeln. Die Washington Post blockt die Inhalte komplett. Wir haben skandinavische Partner, die ihren Inhalt in richtig schlechter Qualität anbieten, um dem User zu zeigen, was er verpasst. Und Anti-AdBlocking funktioniert hervorragend. Die User bleiben. Sie gehen ja nicht weg.

„Funktioniert hervorragend“ hört sich bei 20 Prozent Sichtbarkeitsverlust komisch an.

 Klaus: Aus Perspektive der Werbungtreibenden ist das auf kurze Sicht kein Problem, denn Werbung, die nicht ausgeliefert wird, wird nicht bezahlt. Mittelfristig sehe ich da aber durchaus Probleme. Zum Beispiel weisen die Mediatools Reichweite aus, die nicht erreicht wird. Und langfristig greift das natürlich das Geschäftsmodell der Publisher an. Die sind auch gefordert, hier etwas zu unternehmen. Die Mediaagenturen können da wenig tun. Aber klar ist: Wenn wir dadurch eine Oligopolisierung des Marktes erzeugen, dann wird für alle der Markt kleiner, enger und weniger attraktiv. Wir müssen an allen Fronten arbeiten, bei der Qualität der Werbung, bei der Aufklärung und wir müssen natürlich Gegenmaßnahmen ergreifen.

Es gäbe ja einen dritten Weg, nämlich sich mit Eyeo, dem Hersteller von AdBlock Plus zu einigen. Wie viele Vermarkter sind mit Eyeo im Gespräch?

Klaus: Der Erpressung nachgeben? Wenn das Schule macht, kommen die Publisher in eine ganz schwierige Situation.

Mudter: Das löst doch nichts. Selbst wenn man sich darauf einlässt, ist es doch zu wenig zum Leben. Mit zwei akzeptierten Werbeformen, wo Sie dann noch einen großen Teil an einen Raubritter abgeben müssen, können Sie doch keine Seite refinanzieren. Selbst wenn das einige machen – was durchaus sein kann – sichert das nicht das Überleben. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir bald technische Lösungen haben, die das Problem Adblocking mittelfristig beseitigen. Im Bewegtbildbereich holen wir uns heute schon 90 Prozent des geblockten Traffics zurück.

Gleichzeitig veröffentlicht Apple eine entsprechende Schnittstelle.

Mudter: Das beobachten wir sehr genau. Man muss schon überlegen, was die Strategie dahinter ist. Es geht Apple um die Sicherung eigener Geschäftsmodelle. Ob das komplett sauber ist, muss man sich genau anschauen. Aber wir versinken da jetzt nicht in Verzweiflung.

Schöpper: Es geht letztlich doch um die Kontrolle am eigenen Geschäftsmodell. Wer eine solche Fee bezahlt, gibt die Kontrolle ab. Das ist doch fatal. Ich sehe überhaupt keine Gründe, warum man das machen kann.

Dennoch scheint die Nachfrage nach AdBlockern weiter zu steigen, sagt zumindest Google Trends.

Schöpper: Unsere Messungen zeigen aber auch, dass wir keine User verlieren, wenn wir AdBlocker umgehen.

Fehlt es nach wie vor an Aufklärung gegenüber dem User?

 Mudter: Den User gibt es nicht, jeder handelt aus eigenen Motiven. Ich halte es aber für sehr idealistisch gedacht, wenn man meint, man könnte sich mit einem User an einen Tisch setzen und demokratisch aushandeln, wie Werbung funktionieren sollte. Das klappt nicht.

Also sind AdBlocker gar kein Problem?

Mudter: Doch. Sie verkleinern die potenzielle Reichweite und das ist bares Geld. Das darf man nicht aus dem Blick verlieren. Aber technisch ist das Problem gelöst.

Klaus: Wir messen nur das, was bei uns ankommt. Also ist das quantitativ kein Problem. Wenn man aber bestimmte Zielgruppen nicht mehr erreicht, dann wird es zum Problem.

Kommt es vor, dass die Vermarkter eine bestimmte Reichweite nicht erreichen?

Mudter: Ja, es kann passieren, das man eine Kampagne unterliefert. Natürlich kalkulieren wir das ein, aber gerade wenn unsere Publisher sehr stark ausgebucht sind, dann kosten uns die AdBlocker Nettoreichweite. Wir können ja nicht brutto mehr ausspielen, weil wir dann das Frequency Capping unterlaufen. Manfred Klaus würde dann sicher gleich anrufen.

Neben AdBlocking gibt es einen zweiten wichtigen Unschärfefaktor in der Wirkungsmessung und der heißt Fraud, also zum Beispiel Klickbetrug. Viele Meldungen deuten darauf hin, dass das zunimmt.

Mudter: Definitiv ist das ein Thema, das wir bearbeiten müssen. Über die Richtung der Diskussion muss ich allerdings schmunzeln, denn gerade die Kunden haben doch die beste Möglichkeit, gegen Fraud vorzugehen, in dem sie hochwertige Umfelder buchen. Das ist ganz anders als in den USA, denn da läuft sehr viel über AdNetworks und Programmatic und am Ende ist keinem mehr klar, wo die Werbung eigentlich ausgeliefert wird. In Deutschland ist die Situation eine ganz andere mit starken Vermarktern und Publishern. Das Risiko bei uns ist nur ein Bruchteil von dem, das die USA haben. Aber man kann schon sagen: Je stärker über Networks gebucht wird, je stärker programmatisch gebucht wird, umso höher das Fraudrisiko.

Klaus: Ich finde schon, dass alle Marktteilnehmer gefragt sind. Die Publisher müssen schon schauen, was für Traffic bei ihnen ankommt. Gleiches gilt für die Plattformen. Und die Agenturen sind aufgefordert, eigene Systeme parallel laufen zu lassen, um das Ganze zu überwachen.

 Ist das Betrugsrisiko ein Hemmschuh bei der Weiterentwicklung des programmatischen Handels?

Schöpper: Nein. Da gibt es Lösungen, wie zum Beispiel private Marketplaces, die hier eine wichtige Rolle erfüllen, auch im Hinblick auf Brand Safety. Im Open Marketplace mussten wir allerdings einige Partner rausschmeißen. Bestimmte Länder sind da auffälliger als andere.

Klaus: Es ist ja quatsch zu sagen, mehr Programmatic bedeutet mehr Fraud. Programmatic ist ein sehr relevanter Weg. In jedem Markt gibt es am Anfang Auswüchse und die Marktteilnehmer sind jetzt aufgefordert, das zu unterbinden.

Noch eine Frage zum Abschluss. Was passiert, wenn Manfred Klaus und Paul Mudter bei einer Kampagne signifikant unterschiedliche Zahlen messen? Wie gehen Sie in der Praxis damit um?

Klaus: Da hat sich der Markt gut eingespielt. Eine gewisse Bandbreite ist erlaubt und wenn es darüber hinausgeht, dann setzen wir uns zusammen und suchen nach den Ursachen. Bisher haben wir noch immer eine Lösung gefunden. Aber es muss uns auch klar sein, dass wir nie gleiche Leistungswerte haben werden. Das hängt schon mit unterschiedlichen Messpunkten zusammen.

Das hört sich sehr handzahm an. Herr Mudter, gibt es nicht einen Aspekt, wo sie immer wieder unterschiedlicher Meinung sind?  

Mudter: Die Abweichungen der beiden AdServer, die laufen, haben wir mittlerweile im Griff. Die sind minimal. Was jetzt häufiger kommt, sind Themen wie Visibilitäts-Messung. Und da kommen wir sogar auf unterschiedliche Messwerte, wenn wir den gleichen Dienstleister einsetzen. Das liegt daran, dass wir als Branche es noch nicht geschafft haben, uns auf einheitliche Messzeitpunkte zu einigen. Da doktern wir jetzt seit drei Jahren rum. Das ist schon ein bisschen nervig.

Wir haben also nicht, wie der OWM formuliert, ein massives Qualitätsproblem im Digitalmarketing?

Mudter: Sagen wir es mal so. Ich würde mich freuen, wenn der Zusatz fällt: „Und wenn wir höchste Qualität wollen, dann bezahlen wir auch dafür“. Es gibt ein Qualitätsthema, aber das sind nicht mehr als Hausaufgaben, die wir machen müssen.

Klaus: Man kann im Markt jede Qualität bekommen, die man haben will. Allerdings auch sehr schlechte und das sollten wir abschalten. Vielleicht müssen wir auch noch etwas genauer definieren, was gute Qualität ist. Wir könnten aber an manchen Stellen schon deutlich weiter sein.

Könnten Auditoren das nötige Zünglein an der Waage bilden, um die Qualität anzuheben?

 Schöpper: Wie will man sich auf einen Drittdienstleister einigen? Der muss ja den Standard erfüllen, auf den man sich nicht geeinigt hat. Es bleibt beim Problem der Einigung auf Standards.

 Mudter: Hier muss man aufpassen, dass die Auditoren nicht mehr Fluch als Segen sind. Es passiert ja oft bei uns im Markt, dass einer sagt, wir hätten ein Riesenproblem, und natürlich hat er die Lösung. Am Ende wollen alle mitverdienen. All das wird Media verteuern. Wenn das im Interesse der Kunden ist, okay.