About You-Mitgründer Tarek Müller: „Wir sind am ersten Tag einer langen Reise“

Tarek Müller, Mitgründer und Co-CEO des Modeshops About You, über die individuelle Ansprache seiner Kunden: In zehn Jahren wird uns das, was wir heute Personalisierung nennen, lächerlich wenig erscheinen.
Tarek Müller sieht das Personalisierungs- potenzial noch lange nicht ausgeschöpft

Herr Müller, kein Online-Shop steht so stark für Personalisierung wie About You. Wie stark wirkt sich die Funktion absatzfördernd aus?

TAREK MÜLLER: Das lässt sich nicht genau beziffern. Aber fest steht, dass sie für eingeloggte Kunden eine sehr große Rolle spielt. Wir bemühen uns, ihnen die für sie relevantesten Produkte zuerst anzuzeigen, wenn sie nach einer Jeans suchen. In Tests sehen wir deutlich, dass die Kundenzufriedenheit durch das personalisierte Angebot steigt. Um die Effekte zu analysieren, schalten wir in Testgruppen regelmäßig die Personalisierungsfunktion ab. Bei den Kunden, die nichtpersonalisierte Inhalte ausgespielt bekommen, nehmen Wiederkaufrate, Kauffrequenz und Zufriedenheit deutlich ab.

Welche Daten fließen in den Algorithmus ein, der die Produktempfehlungen errechnet?

Sehr viele. Sie basieren auf Daten und Signalen, die der User uns gegeben hat. Dazu zählen natürlich vergangene Käufe, aber vor allem das Surfverhalten auf der Seite und die dortigen Interaktionen. Wir geben unseren Nutzern eine Vielzahl von Möglichkeiten, Daten mit uns zu teilen, indem sie Marken, Menschen und Produktgruppen liken, sich also mit ihnen verbinden, und indem sie Produkte kaufen und behalten. Hinzu kommen Kaufwahrscheinlichkeiten von Personen mit ähnlichen Profilen sowie objektive Daten zu Jahreszeiten oder saisonalen Anlässen. Wir kaufen jedoch keine Third-Party-Daten über die Nutzer ein.

Fließen auch Bestandsdaten der Artikel ein? Empfehlen Sie also eine Hose eher, wenn noch besonders viele Exemplare vorhanden sind?

Nein. Die optimale Empfehlung für den Kunden hat für uns Vorrang, unabhängig von den Bestandsdaten oder der Betriebswirtschaftlichkeit des Artikels. 

Wie verhindert der Algorithmus, dass dem Nutzer immer wieder dieselben Artikel gezeigt werden? Dass er also immer nur in seinen bisherigen Geschmacksmustern bestätigt wird?

Das ist eben die Kunst einer guten Personalisierung. Es ist extrem wichtig, eine Filterblase zu vermeiden. Wir orientieren uns hier am klassischen Verkäufer im Laden, der dem Kunden auch Produkte und Outfits vorschlägt, die nicht so naheliegend sind. Das erwarten die Kunden auch.   


Das About You-Interview ist Teil des absatzwirtschaft-Magazins 11/18, das Sie hier bestellen können


Honorieren sie das mit erhöhter Zahlungsbereitschaft? Ist Personalisierung also auch eine Strategie, um sich dem Preisdruck im Internet zu entziehen?

Nein. Wir haben immer den Anspruch, dem Kunden das für ihn relevanteste Produkt anzubieten und nicht teurer zu sein als der Wettbewerb. Der Kunde zahlt für die Personalisierung definitiv nicht drauf.

Inwiefern sind die Nutzer bereit, Angaben zu ihrer Person oder ihren Stilvorlieben zu machen?

Wir haben früher versucht, viele Informationen direkt vom Nutzer zu bekommen. Er sollte die Möglichkeit haben, bei der Erstellung seines Profils mitzuwirken, über das Style-Quiz, mit dem wir spielerisch die Größen- und Style-Präferenzen ermittelt haben. Wir haben aber gelernt, dass die Nutzer sich nur ungern mit Eingaben aufhalten. Sie wollen sofort Empfehlungen. Daher fragen wir vom Kunden keine Daten mehr per Style-Quiz direkt ab – abgesehen von der Like- beziehungsweise Follow-Funktion, mit der der Kunde seine Favoriten markieren kann, so wie er es auch aus sozialen Netzwerken gewohnt ist und nicht als Mehraufwand empfindet.

Haben Sie die Personalisierungspotenziale mittlerweile weitgehend ausgeschöpft?

Überhaupt nicht. Wir sind erst bei fünf Prozent von dem, was möglich ist, oder anders gesagt: am ersten Tag einer langen Reise. In zehn Jahren wird uns das, was wir heute an Personalisierung machen, lächerlich wenig erscheinen. Dann wird die virtuelle Anprobe zu Hause Standard sein.

In welchen Bereichen werden Sie weiter optimieren?

Die drei relevanten Felder heißen weiterhin Personalisierung, Inspiration und Smartphone.

Wird es darauf hinauslaufen, dass Sie nicht nur individuelle Produktempfehlungen abgeben, sondern auch Design und Navigation der Website personalisieren? Also der eigene Shop für jeden Nutzer?

Es ist meines Erachtens nicht empfehlenswert, so weit zu gehen, weil der Kunde dann wieder die Filterblase fürchtet. Er will auf keinen Fall, dass ihm durch die Personalisierung etwas entgeht oder vorenthalten wird. 

Wird es zukünftig in großem Stil eine persönliche Beratung per Chatbot geben?

Da bin ich noch unschlüssig, die Entwicklung ist hier schwer abzuschätzen. Vielleicht passiert dasselbe wie im stationären Geschäft: Es gibt Kunden, die gern mit dem Verkäufer reden, andere wollen lieber allein stöbern und wieder andere, die gerne mit einem Chatbot kommunizieren.

(kj, Jahrgang 1964), ewiger Soul- und Paul-Weller-Fan, hat schon für Tageszeitungen und Stadtmagazine gearbeitet, Bücher über Jugendkultur und das Frankfurter Bahnhofsviertel geschrieben und eine eigene PR-Agentur betrieben. 1999 zog es ihn aus dem Ruhrgebiet nach Frankfurt, wo er seitdem über Marketing-, Medien- und Internetthemen schreibt, zunächst als Ressortleiter bei „Horizont“, seit 2008 als freier Journalist und Autor. In der Woche meist online, am Wochenende im Schrebergarten.