Trikots im Sport: Emotion trifft Kommerz

Das Trikot ist nicht nur ein Merchandise-Artikel und ein Platz für Werbung: Es ist eine Projektionsfläche für vieles, um das es im modernen Spitzensport geht, indem es die emotionale mit der kommerziellen Seite verbindet.
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Manchmal sorgt allein die Farbe eines Trikots für aufgeregte Debatten. Im Bild: Antonio Rüdiger im neuen DFB-Ausweichdress. (© Imago)

 Den Vogel abgeschossen hat der VfB Stuttgart. Die Schwaben überflügeln in dieser Saison nicht nur große Teile der Konkurrenz auf dem grünen Rasen. Während unter den eigenen Anhängern in der Vorweihnachtszeit bereits zaghafte Hoffnung auf eine Qualifikation für die Königsklasse des Fußballs keimt, präsentiert der Verein ein Sondertrikot, für das er wahrhaft königliche Preise aufrief. In Zahlen ausgedrückt: 189,30 Euro. Die Ziffernfolge steht für das Gründungsjahr des Vereins. Nach sechs Stunden ist die limitierte Auflage von 1893 Trikots ausverkauft; der stolze Kaufpreis spaltet noch deutlich länger die Gemüter. Der SWR lässt sogleich zwei Sportredakteure darüber debattieren, ob es sich hier um Wucher handelt. Die Frage zirkuliert selbstverständlich auch in der Fankurve. 

Das StuttgART-Trikot des Künstlers Tim Bengel löst Emotionen aus. Dazu trug neben dem stolzen Preis auch seine spezielle Filderkraut-Optik bei. Damit huldigt der Künstler einem heimischen Kohlgemüse als „regionalem Superfood“ – so viel Standortpatriotismus sei gestattet. Mit einem normalen Fantrikot, das je nach Bundesligist zwischen 75 und 100 Euro und kostet, lässt es sich schwer vergleichen. 

Stuttgart , Fuflball Bundesliga, Saison 2023 / 2024, VfB Stuttgart vs. SV Werder Bremen , von links: Maskottchen Fritzle mit Tim Bengel , Sondertrikot Gem‰fl den Vorgaben der DFL Deutsche Fuflball Liga ist es untersagt, in dem Stadion und/oder vom Spiel angefertigte Fotoaufnahmen in Form von Sequenzbildern und/oder video‰hnlichen Fotostrecken zu verwerten bzw. verwerten zu lassen. *** Stuttgart , Bundesliga, season 2023 2024, VfB Stuttgart vs SV Werder Bremen , from left mascot Fritzle with Tim Bengel , special jersey According to the regulations of the DFL German Football League, it is prohibited to use or have used photographs taken in the stadium and or of the match in the form of sequential images and or video-like photo series
Vom Künstler Tim Bengel (rechts) stammt dieses limitierte Sondertrikot, das der VfB Stuttgart für 189,30 Euro verkauft hat. (© Flaticon)

Bundesligisten verkaufen 2,7 Millionen Trikots pro Jahr 

Peter Rohlmann ist Inhaber der auf Sportbusiness spezialisierten Agentur PR Marketing. Er gilt als einer der versiertesten Fachleute für Merchandising im nationalen und internationalen Sport und weiß, wie sich die Einnahmen aus einem Trikotverkauf verteilen (s. Grafik). 85,50 Euro müssen die Fans deutscher Bundesligisten im Schnitt für das Trikot ihres Herzensvereins bezahlen. Kommen Spielername, Rückennummer und Logo der Liga hinzu, steigt der Durchschnittspreis in den dreistelligen Bereich (102 Euro). Selbst bei Kindertrikots liegt dieser noch bei 65,50 Euro.  


Für nicht weniger als 9,3 Millionen Dollar wurde 2022 bei Sotheby‘s das Trikot versteigert, mit dem Diego Maradona im WM-Viertelfinale 1986 gegen England sein legendäres Tor mit der „Hand Gottes“ erzielt hat. Damit ist es das bisher teuerste Fußballtrikot. 

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So setzen sich die Kosten für ein Bundesliga-Trikot zusammen (Quelle: Rohlmann / PR Marketing)

Damit macht das Kleidungsstück einen stattlichen Teil der Merchandise-Einnahmen eines Fußballclubs aus. „Trikots gehören im Fanartikelgeschäft zu den gefragtesten Produkten, sind also die Topkategorie beim Umsatz“, sagt Rohlmann. Die Anzahl der Trikots, die jährlich in der Bundesliga verkauft werden, beziffert er auf rund 2,7 Millionen Stück. Der Absatz bewege sich seit einigen Jahren auf ähnlichem Niveau, in der Saison 2010/11 lag er allerdings noch um mehr als eine Million unter der heutigen Verkaufsmenge. 

Bei den Vereinen verbleibt, je nachdem, ob das Trikot über den eigenen Fanshop oder den Sportfachhandel abgesetzt wird, nur ein Anteil von 6 bis 10 Prozent. Der größere Anteil entfällt auf den Handel und die Hersteller. Die Kosten für die Produktion und den Transport eines Trikots beziffert der Marketingexperte auf unter zehn Euro. Der Anteil, den das Merchandising an den Gesamteinnahmen im deutschen Profifußball ausmacht, liegt Rohlmann zufolge im mittleren einstelligen Bereich; er schätzt ihn zuletzt auf circa 6 Prozent. Gering, verglichen mit den Einnahmen durch andere Vermarktungsrechte wie Medienverträge oder Sponsoring, die in den vergangenen Jahren exorbitant gestiegen sind. Die Bundesliga hat gerade einen neuen Umsatzrekord vermeldet: In der Saison 2022/23 erwirtschafteten die 18 Vereine insgesamt 4,45 Milliarden Euro – rund 247 Millionen Euro im Schnitt. 

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Schön anzuschauende Werbefläche: Coca-Cola war in den 90er Jahren ein eifriger Trikotsponsor im brasilianischen Fußball. (© Delius Klasing Verlag)

Trikotfarbe und Ausrüster sorgen für Diskussionen 

Im welche hohen Summen es auch rund um die Trikot-Frage geht, zeigt die jüngste Diskussion um den Ausstatter der deutschen Fußballnationalelf: Anstelle von Adidas wird das ab 2027 die US-Marke Nike sein. Der DFB verkündete den Wechsel Mitte März, nur wenige Tage nachdem er die Adidas-Jerseys für die Heim-Europameisterschaft vorgestellt hatte. Die Wellen der Zustimmung und Ablehnung für das pink-lila-farbene Ausweichtrikot waren noch nicht einmal abgeklungen, da sorgte diese Nachricht für eine aufgeheizte öffentlichen Debatte – selbst Spitzenpolitiker melden sich zu Wort. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warf dem Verband „mangelnden Standortpatriotismus“ vor, Gesundheitsminister Karl Lauterbach sprach von einer „Fehlentscheidung, wo Kommerz eine Tradition und ein Stück Heimat vernichtet“.  

Der Konter von DFB-Präsident Bernd Neuendorf ließ nicht lange auf sich warten: Die Kritik mache ihn „fassungslos“: „Hier geht’s um Wettbewerb, hier geht’s um Marktwirtschaft“, polterte der oberste Verbandsfunktionär. Man habe ein Angebot erhalten, das weit über dem von anderen Konkurrenten lag. „Insofern ist uns die Entscheidung fast abgenommen worden“, so Neuendorf. Nike zahlt dem DFB laut einem Bericht des „Handelsblatt“ von 2027 bis 2034 pro Jahr 100 Millionen Euro, rund doppelt so viel wie der bisherige Ausstatter aus Herzogenaurach. Mit den Mehreinnahmen könne der gemeinnützige Verband auch mit Amateuren oder bei der Talententwicklung neue Wege gehen, so Neuendorf, „darum geht es im Kern, dafür müssen wir uns nicht entschuldigen“. 

Auch im Vereinsfußball werden in der Regel langfristige Ausrüsterverträge geschlossen, die zumindest den Spitzenclubs dreistellige Millionensummen einspielen. Allerdings gibt es hier eine große Vielfalt an Ausrüstern: Die 18 Bundesligisten haben neun unterschiedliche Hersteller als Partner. Nike stattet in der laufenden Saison 2023/24 vier und damit die meisten Bundesligisten aus. Dahinter folgen Puma mit drei sowie Adidas, Hummel und Jako mit je zwei Vereinen. 

Im Verlauf der Sommerpause stellen die Vereine ihren Anhängern nicht nur neue Spieler vor, sondern auch ihre Trikots für die neue Spielzeit. Dabei sorgen die ausgewählten Farben, Schnitte und Designs regelmäßig für Gesprächsstoff in den Fanszenen; in Sportmedien werden eigene Rankings erstellt. 

Erstes Trikot lässt Kinderaugen leuchten  

Hier tritt die emotionale Seite der Arbeitskleidung von Fußballer*innen in den Vordergrund: Die Vereine binden mit diesem Stück bedrucktem Stoff jungen Zielgruppen frühzeitig an sich, an den Sport und letztlich aber doch an ein Kommerzialisierungsmodell. Dabei überwiegt aus Sicht der Fans in der Trikotfrage häufig der ideelle gegenüber dem materiellen Wert oder besser gesagt Preis. Die Fans bringen mit dem Tragen der jeweiligen Farben ihre Vereinstreue und Zugehörigkeit zum Ausdruck. Da leuchten die Augen, wenn ein Kind sein erstes Trikot bekommt, genauso wie die seines Vaters, wenn er ein altes und mit vielen Stadionerinnerungen verknüpftes Trikot aus dem Kleiderschrank holt. 

Mit dem Trikot lassen sich auch Botschaften transportieren, die gesellschaftliche Themen aufgreifen – wobei die Farbe Pink, die sich Jung von Matt/Sports gerade für die deutsche Nationalelf als Zeichen für Vielfalt und Toleranz ausgedacht hat, keine wirkliche Innovation ist. Das haben schon mehrere Mannschaften, national wie international, vorgemacht. Ein anderes Beispiel ist die brasilianische Nationalelf, die zu einem Spiel im vergangenen Jahr nicht im gewohnten Gelb-Grün-Blau, sondern ganz in Schwarz aufgelaufen ist, um ein Zeichen gegen Diskriminierung und Rassismus zu setzen. 

Trikots sind auch längst ein Teil der Popkultur. Dazu trägt der allgemeine Vintage-Mode-Trend bei, der auch vor Sporttrikots nicht haltmacht: Unter dem Begriff Blokecore, abgeleitet vom englischen Wort „bloke“ für „Kerl“, zelebrieren prominente und nicht prominente Menschen in den sozialen Medien ihre Faibles für Retrotrikots. Wer tiefer in die Materie einsteigen will, dem sei der walisische Autor Neal Heard empfohlen. In „Fußballtrikots – Das Buch für Liebhaber“ (Verlag Die Werkstatt) erzählt der Trikotsammler und -liebhaber Geschichten über schöne und skurrile Sportjerseys und ihre Verbindung zur Popkultur. Im Buch begegnen den Leser*innen neben den Toten Hosen auch Oasis und Bob Marley, der Dalai Lama und Che Guevara. 

RECORD DATE NOT STATED Essen diese und RWE bringen gemeinsam ein Sondertrikot in den Stadtfarben raus - Riesiger Run auf den Pop-up-Store an der Kettwiger Strafle. ** NUR F‹R REDAKTIONELLE ZWECKE ** EDITORIAL USE ONLY **pTanja, links, und Ruthi kaufen jeder zwei Trikots am Donnerstag, dem 29. Februar 2024. Ein Trikot f¸r den Freund und eins f¸r sich . Essen diese und RWE bringen gemeinsam ein Sondertrikot in den Stadtfarben raus - Riesiger Run auf den Pop-up-Store an der Kettwiger Strafle. Deutschland NRW Essen Copyright: KerstinxKokoska *** Essen diese and RWE team up to bring out a special jersey in the city colors Huge run on the pop-up store on Kettwiger Strafle FOR EDITORIAL PURPOSES ONLY p Tanja, left, and Ruthi each buy two jerseys on Thursday, 29 F Copyright: KerstinxKokoska doc7ucolygps9019qbbzlkt ,EDITORIAL USE ONLY
Das Gemeinschaftserlebnis prägt die emotionale Verbindung zum eigenen Team. Am besten geht das im gleichen Trikot. (© Imago)

Legende: Trikotverkäufe finanzieren Top-Transfer 

Um aus der emotionalen Komponente einen finanziellen Nutzen zu ziehen, setzen manche Spitzenclubs ganz bewusst auf den Absatzerfolg von Spielertrikots: Es gibt den Mythos, dass ein Verein die millionenschweren Transferausgaben für einen Superstar allein durch den Verkauf eines Arbeitsoutfits mit seinem Namen und seiner Rückennummer refinanzieren kann. Berichte darüber gab es in der Vergangenheit nach internationalen Top-Transfers immer wieder, etwa als Cristiano Ronaldo 2018 von Real Madrid zu Juventus Turin wechselte oder Lionel Messi 2021 von Barcelona nach Paris. Sie wurden zum Teil sogar von Vereinsseite lanciert oder zumindest nicht dementiert. 

Der Merchandising-Experte Peter Rohlmann widerspricht dieser These: Die Geschichte der Finanzierung eines teuren Fußballstars durch zusätzliche Trikotverkäufe sei ein „Märchen“ und schon mehrfach widerlegt worden. Als Begründung nennt er den „eher kleinen Gewinn“ aus dem Verkauf, bei dem man nicht den Ladenpreis zugrunde legen dürfe, sondern nur den beim Club verbleibenden Anteil von 6 bis 10 Prozent vom Einzelpreis. Der zweite Grund seien Kannibalisierungseffekte, die Rohlmann am Beispiel des vor dieser Saison für kolportierte 100 Millionen Euro zum FC Bayern gewechselten Kapitän der englischen Nationalmannschaft erklärt: „Wer jetzt ein Harry-Kane-Trikot erwirbt, kauft kein Serge-Gnabry- oder sonstiges Bayernspieler-Shirt mehr.“ Auf Vereinsseite bestünde dennoch ein gewisses Interesse an der Verbreitung solcher Legenden, etwa um Kritik an solchen dreistelligen Millionentransfers entgegenzutreten. 

Champions-League-Quali: Trikotabsatz verdoppelt

Ein Treiber für den Absatz von Trikots muss nicht unbedingt ein großer Name sein. Dass manchmal auch der sportliche Erfolg dahinterstecken kann, zeigt das Beispiel Eintracht Frankfurt. Als die Hessen in der Saison 2022/23 erstmals in der Champions League spielten, schoss ihr Trikotabsatz von 50.000 im Vorjahr auf mehr als 110.000 Stück in die Höhe. Allein 40.000-mal verkaufte sich dabei das Königsklassen-Trikot.  

Vermutlich profitiert von einem ähnlichen Effekt in der nächsten Spielzeit der VfB Stuttgart. Das Filderkraut-Trikot der Schwaben eignet sich übrigens auch als Wertanlage. Bei Ebay wird es gerade zwischen 250 und 450 Euro gehandelt. 

(tht, Jahrgang 1980) ist seit 2019 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Davor war er zehn Jahre lang Politik- bzw. Wirtschaftsredakteur bei der Stuttgarter Zeitung. Der Familienvater hat eine Leidenschaft für Krimis aller Art, vom Tatort über den True-Crime-Podcast bis zum Pokalfinale.