Herr Nufer, Sie sind Professor für Betriebswirtschaftslehre an der ESB Business School. Gibt es eine Gender-Marketing-Kampagne, die Sie persönlich besonders beeindruckt hat?
Ein schönes und vielzitiertes Beispiel zum Gender Marketing ist streng genommen nur ein halbes: Die Produkte Coca-Cola light für Frauen und Coca-Cola zero für Männer werden von vielen als Best-Practice-Beispiele für Gender Marketing wahrgenommen. Dabei hatte Coca-Cola als Zielgruppe für Coke light ursprünglich gar nicht explizit Frauen, sondern allgemein kalorien- beziehungsweise gesundheitsbewusste Konsumenten anvisiert. Die Tatsache, dass hauptsächlich Frauen zum Produkt griffen, veranlasste Coca-Cola einige Zeit später, mit Coke zero ein zusätzliches, speziell auf Männer zugeschnittenes Produkt auf den Markt zu bringen.
Wie können Marken Gender-Marketing erfolgreich umsetzen, ohne dabei in die Falle von Gender-Stereotypen zu tappen?
„Verstehe deinen Markt“ und „verstehe deinen Kunden“ lauten zwei Grundregeln des Marketing. Wenn im Marketing speziell Frauen oder Männer angesprochen werden, dürfen keine Stereotype bedient werden, sondern es ist immer das jeweils überwiegende beziehungsweise durchschnittliche Verhalten zu Grunde zu legen, das der Großteil der Personen eines Geschlechts in einer bestimmten Situation zeigt. Die typische Frau oder den typischen Mann gibt es nicht. Bei jedem Menschen sind bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen, die als eher weiblich oder männlich gelten, verschieden stark ausgeprägt.
Wie reagieren Konsument*innen, insbesondere die jüngeren auf genderneutrale oder genderinklusive Marketingkampagnen?
Jüngere Konsumenten, insbesondere aus den Generationen Z und Alpha, reagieren in der Regel positiv auf genderneutrale und genderinklusive Marketingkampagnen. Diese Generationen legen viel Wert auf Diversität und Inklusion, was auch ihre Erwartung an Marken und Unternehmen beeinflusst. Es ist zu beobachten, dass genderneutrale und genderinklusive Marketingkampagnen bei den jüngeren Generationen eine deutlich positive Wirkung erzielen können, wenn sie authentisch und nachhaltig umgesetzt werden.
Sehen Sie hier signifikante Unterschiede zu älteren Zielgruppen? Was hat sich im Zeitablauf im Gender Marketing geändert?
Früher hieß die vereinfachste Erfolgsformel noch „pink it and shrink it“, um der zunehmenden Attraktivität der weiblichen Zielgruppe gerecht zu werden. Stereotypisierende Angebote wurden in den Anfangstagen des Gender Marketing mit dem Zusatz „for men/women only“ schablonenartig umgesetzt. Die heutige Realität sieht jedoch anders aus – und das gilt generationenübergreifend: Die traditionellen Bilder von Frau und Mann mit einer klassischen Rollenverteilung sind überholt. Geschlechter verschmelzen immer mehr. Um diesen Entwicklungen gerecht zu werden, wird im Marketing mehr nötig werden als lediglich eine differenzierte Betrachtung von Frauen und Männern. Unternehmen müssen darauf reagieren. „Gender Marketing 2.0“ wird entstehen.
Gibt es Fälle, in denen Gender Marketing auch langfristig negative Auswirkungen auf das Markenimage haben kann?
Natürlich ist Gender Marketing auch mit Risiken verbunden. So musste das Handelsunternehmen Edeka mit dem Verkauf von differenziert beworbenen Bratwürsten für Männer und Frauen einen shitstorm hinnehmen. Auf der Verpackung der feurigen Männer-Bratwurst war als Blickfang eine attraktive Frau im sexy Kleid und Teufelshörnern abgebildet. Die Verpackung der besonders mageren Frauen-Bratwurst zierte ein durchtrainierter Mann mit nacktem Waschbrett-Bach. Man kann an dem Beispiel sehen, dass dieser Vermarktungsansatz von den Zielgruppen sehr kritisch beurteilt wurde.
Welche Rolle spielt KI oder Datenanalyse im Gender Marketing?
Künstliche Intelligenz und Datenanalyse spielen im Gender Marketing zunehmend eine wichtige Rollen. Sie ermöglichen es Unternehmen, präzisere und personalisierte Marketingstrategien zu entwickeln, die auf Geschlechterunterschiede und individuelle Präferenzen eingehen. So kann KI beispielsweise Muster erkennen, die bei verschiedenen Zielgruppen eine emotionale Bindung schaffen, was besonders im Gender Marketing wertvoll ist, da es gezielt auf die emotionalen Anknüpfungspunkte beider Geschlechter eingehen kann. Darüber hinaus sind KI-Algorithmen darauf trainiert, Stereotypen zu vermeiden und Genderneutralität zu fördern. Durch Datenanalysen können Diskriminierungen oder Geschlechterklischees aufgedeckt und überwunden werden, was zu einer inklusiveren und authentischeren Markenkommunikation führt.
Dieses Interview wurde schriftlich geführt.