Herr Perrey, Künstliche Intelligenz verändert alles – auch das Marketing und den Vertrieb. Welche der beiden Seiten des „Smarketings“ ist davon stärker berührt?
Wir beobachten, dass KI eher Teile des Marketings stärker verändert als des Vertriebs. Marken können heute schon schnelle und auch ziemlich kreative Kampagnen mit KI generieren. Demzufolge könnten Vertriebsverantwortliche jetzt ihrerseits versuchen, Kampagnen und Texte selbst zu generieren. Gleichzeitig bleibt Marketing ein Handwerk mit vielen Facetten, die KI unterstützt, aber nicht vollständig ersetzen kann. Ich bin überzeugt, dass das Marketing im KI-Zeitalter neu gedacht werden muss. Dabei sollten Unternehmen einen integrierten Ansatz von Kunden- und Vertriebsverständnis wählen.
McKinsey und die absatzwirtschaft haben in einer aktuellen Studie die Trends im Marketing beleuchtet, mit einem überraschenden Ergebnis.
Wir hatten tatsächlich erwartet, dass die dafür befragten Marketing- und Vertriebsverantwortlichen das Thema KI ganz oben auf ihre Agenda setzen. Stattdessen steht im Ranking von 20 abgefragten Optionen das Thema Kreativität an erster Stelle. Wir vermuten dahinter eine Rückbesinnung auf die klassischen Werte der Vermarktung, wonach Marken über Kreativität und Kundennähe, und natürlich unterstützend auch Analytics versuchen, das Beste rauszuholen.
Es gibt die These, dass Unternehmen, die sich in Dauerkrisenzeiten vertriebsorientierter aufstellen, am Ende besser dastehen als Wettbewerber. Kommt in solchen „Sales-Driven-Companies“ das Marketing unter die Räder?
In erfolgreichen Unternehmen ist das nicht der Fall, da wird vom Kunden oder von der Kundin her gedacht. Sie integrieren die richtigen Zielgruppenansätze mit den richtigen Kampagnen und dem richtigen Kundenverständnis. Es gibt natürlich auch Unternehmen, die in schlechteren Zeiten Kampagnen streichen und Marketingbudgets kürzen oder in Vertriebsaufwendungen umschichten, um kurzfristige Quartalsziele zu erreichen. Das ist eben nicht nur vom Kunden her gedacht.
Das Marketing denkt aus Kundensicht, der Vertrieb vom Produkt her – so die klassische Unterscheidung. Wie sieht die ideale Kombination beider Disziplinen aus?
Smarketing mag ein neues Buzzword sein. Doch es gibt seit mindestens fünf Jahren einen Trend, dass immer mehr Unternehmen Vertrieb und Marketing näher zusammenrücken und die unterschiedlichen Funktionen zusammenzuführen, zumindest mal hierarchisch. Da gibt es dann statt einem CMO und einer CSO nur noch einen Chief Commercial Officer. Das ist, wenn man ehrlich ist, aber nur bedingt sinnvoll, wenn der oder die Marketing- und Vertriebsverantwortlichen in der Ebene darunter machen, was sie wollen. Erfolgreiche Unternehmen denken in Prozessen und arbeiten in agilen Teams aus Marketing- und Sales-Mitarbeitenden.
Kann es bei der gegenseitigen Annäherung auch ein „Zu viel“ geben?
Schon aufgrund der technologischen Dynamiken unserer Zeit sind beide Seiten gezwungen, sich einander anzunähern und immer weniger fragmentiert zu denken. Aber Organisationen können das Rad natürlich auch überdrehen. Durch die Kombination von Kunden- und Produktsicht steigt die Gefahr, dass sie ein bisschen der Exzellenz der Einzeldisziplinen einbüßen. Am Ende müssen die Kernfunktionen des Marketings erhalten bleiben: Unternehmen müssen weiter versuchen, an ihrer Marke zu arbeiten und sie erfolgreich am Markt zu positionieren.
Alle Studienergebnisse werden in Kürze veröffentlicht. Interessiert? Kontaktieren Sie: marketingreport@mckinsey.com