Herr Schnellmann, warum haben Sie die stille Stunde in Ihren Supermärkten eingeführt?
Ich habe 2019 einen Zeitungsartikel über ein neuseeländisches Unternehmen gelesen, das die stille Stunde eingeführt hat. Für mich stand sofort fest, dass ich sie auch in meinen 13 Filialen einführen möchte. Ich bin der Meinung, dass gerade Unternehmer einen Beitrag für soziale Verantwortung leisten sollten. Umso überraschter war ich, dass mein Bruder und ich die bis dato Einzigen in der Schweiz waren, die eine stille Stunde eingeführt hatten.
Welche Maßnahmen haben Sie umgesetzt?
Angefangen haben wir in drei Filialen mit Unterstützung der Schweizer Autistenhilfe, die uns beraten hat. Während der stillen Stunde, die zweimal wöchentlich stattfindet, sind die Lichter gedämmt, die Musik ausgestellt, es laufen keine Maschinen, Fernsehgeräte mit Werbungen oder Ladendurchsagen. Auch sind Hilfshunde bei uns willkommen. Außerdem können auf unserer Homepage die Laden- und Sortimentspläne unserer Filialen heruntergeladen werden, auf denen die geruchsintensiven und gekühlten Bereiche zu sehen sind.
Viele Märkte verändern ab und zu ihre Reihen, um Kund*innen – gelinde gesagt – mit neuen Produkten vertraut zu machen. Was halten Sie davon?
Das machen wir nicht, weil es für Autist*innen Stress bedeutet. Es ist uns wichtiger, Menschen zu integrieren, als mehr Geld umzusetzen. Natürlich diskutieren wir auch intern: Haben uns die stillen Stunden wirtschaftlich etwas gebracht? Wir haben jedoch keinen Umsatzrückgang zu verzeichnen, das ist das eine. Aber wir wollen Wege aufzeigen, wie man mit wenig Aufwand der Gesellschaft etwas zurückgeben kann. Denn auch Menschen mit Einschränkungen sind Teil unserer Gesellschaft.
Wie kam die Einführung der stillen Stunde bei Ihren Kund*innen an?
Gemischt. Viele waren davon begeistert, also auch Menschen, die nicht Autist*innen sind. Gerade aktuell haben wir es mit einer großen Reizüberflutung zu tun. Uns wurde gespiegelt, dass die stille Stunde für sie eine Art Oase darstelle und sie deshalb gerade dann sehr gern einkaufen würden. Wir wurden aber auch mit Vorwürfen konfrontiert, also dass wir nur Strom einsparen wollten. Oder dass Autist*innen auch online einkaufen könnten. Diese Menschen haben aber nicht verstanden, dass jene damit weiter ausgeschlossen würden, denn auch sie suchen den Kontakt zur Gesellschaft.
Und wie steht der Mutterkonzern zu den Maßnahmen?
Ich habe keine Einschränkungen erhalten – im Gegenteil. Beim Mutterkonzern wird natürlich auch gerechnet, ob wir uns diese Maßnahmen leisten können. Ich frage aber: Können wir uns leisten, Menschen auszuschließen? Viele Unternehmen trauen sich nicht, etwas zu machen, was nicht der Norm entspricht. Natürlich kann man Geld an Stiftungen spenden, ohne selbst tätig zu werden. Ich denke aber, Menschsein ist nicht nur Geld. Man kann auch mit kleinen Änderungen viel bewegen. Für mich hat das auch mit Nachhaltigkeit zu tun. Denn dazu gehört nicht nur die Klimabilanz, sondern auch Integration. Den Menschen zu mehr Selbstständigkeit zu verhelfen ist auch eine Frage, die in Zukunft angesichts des demographischen Wandels immer wichtiger werden wird.