Von Michael Brandtner
Die meisten Marketingbücher kommen und gehen. Positioning ist anders. Positioning ist deswegen anders, weil es die Lösung für ein Problem ist, das Jahr für Jahr größer und nicht kleiner wird. Positioning – so Al Ries und Jack Trout im Jahr 1981 – ist der erste Denkansatz, der sich mit dem Problem der überkommunizierten Gesellschaft auseinandersetzt. Nur was Al und Jack damals als Kommunikationsüberflutung ansahen, war maximal das Aufwärmtraining im Vergleich zu heute. So gesehen leben wir heute in der ersten über-über-kommunizierten Gesellschaft, in der richtiges Positioning noch wichtiger wird, um am Markt, in den Köpfen der Kunden zu gewinnen. Deshalb macht es Sinn, sich die wichtigsten Prinzipien im Detail anzusehen.
(1) Das Prinzip der Marktführerschaft
Damals schrieben Al und Jack: „Der einfache Weg um in das Gedächtnis zu kommen, ist es, Erster zu sein. … Wie lautet der Name der ersten Person, die im Alleinflug den Nordatlantik überquerte? Charles Lindbergh, Richtig? Nun, wer war die zweite Person, die im Alleinflug den Nordatlantik überquerte? Nicht so einfach zu beantwort, oder?“
„Besser Erster als besser“ war und ist das wichtigste Positioning-Prinzip. Das galt damals für Beispiele wie Coca-Cola, Hertz oder Kodak. Das gilt heute genauso für Amazon, Red Bull oder Geox. Unser Gedächtnis macht dabei keinen Unterschied, ob man Marken im Outernet oder im Internet bauen will. Google eroberte sich als erste Marke die „Such“-Position in den Köpfen der Kunden. Das ist der Hauptgrund, warum wir heute „googeln“ und nicht „bingen“, „yahoon“ oder „cuilen“. Wagner Pizza ist keine weitere herkömmliche Fertigpizza, sondern die erste Steinofenfertigpizza. Dr. Best ist keine weitere herkömmliche Handzahnbürste, sondern die erste nachgebende Zahnbürste.
Sie werden sich jetzt sicher eines fragen: „Geht es dann im Marketing nur um Innovation? Hängt der Erfolg von Unternehmen und Marken daher hauptsächlich von der F&E-Abteilung ab?“ Nein, denn das zweite Positioning-Prinzip relativiert das erste.
(2) Das Prinzip des Gedächtnis
Positioning spielt sich nicht im Markt ab, Positioning spielt sich in der Wahrnehmung, im Gedächtnis der Kunden ab. So waren eigentlich die Wikinger die ersten, die Amerika entdeckten. Nur die Wikinger vergaßen die Geschichtsschreibung mitzunehmen. Heute würden wir sagen, dass sie vergaßen auf PR und Werbung zu setzen. So machten sie den Weg für Christoph Kolumbus frei. Er hatte die spanische Geschichtsschreibung mit an Bord.
Powell.com war – soweit wir wissen – die erste Internetbuchhandlung dieser Erde. Eine echte innovative Pionierleistung. Nur leider schaffte man es nicht, dass man die Position „Internetbuchhandlung“ in den Köpfen der Kunden besetzte. Dies schaffte Amazon. So wird Amazon heute als Pionier und die Onlinebuchhandlung schlechthin gesehen.
Der erste MP3-Player mit Harddisc war die Creative Nomad Jukebox von Creative Technology. Alleine der Name war die Garantie, dass man es nicht in die Köpfe der Kunden schafft. So machte man den Weg frei für Apple mit dem iPod. Apple hatte Steve Jobs und das bessere Marketing. Deshalb ist gutes Marketing der Schlüssel zum Erfolg. Saab gilt für viele Autoenthusiasten als Erfinder des Turbomotors. Nur auch Saab schaffte es nie sich eine nachhaltige Position in den Köpfen der Kunden aufzubauen. So wird die Marke – wie es aussieht – bald endgültig Geschichte sein.
(3) Das Prinzip des Gegenteils
Was aber sollten dann Marken tun, die heute nicht an erster Stelle in den Köpfen der Kunden stehen? Sie sollten die genau gegenteilige Position des Marktführers einnehmen. Denn in so gut wie jedem Bereich ist Platz für eine Meinung und eine Gegenmeinung.
Das beste Beispiel dafür ist BMW. In den 1960er Jahren stand Mercedes für Prestige und Fahrkomfort, quasi für ein „fahrendes Wohnzimmer“. Damals besetzte BMW sehr erfolgreich die genau gegenteilige „sportlichere“ Position mit dem brillanten Slogan „Aus Freude am Fahren“ und Modellen wie dem 1500er, 1600er oder dem legendären 2002er. Heute ist BMW mit dieser Position(ierung) weltweit die meistverkaufte Premiumautomobilmarke.
Herkömmliche Staubsauger haben einen Beutel. Dyson hat keinen. So ist Dyson der Staubsauger ohne Beutel und vor allem ohne Saugkraftverlust. Amerikanische Kühlschränke müssen groß sein. Auf alle Fälle dachten dies alle Anbieter bis auf Haier. Haier ging den gegenteiligen Weg und setzte auf kleine Kühlschränke. Heute ist man in den USA die Nummer 1. Tic Tac ist milde Frische. Also setzte Fisherman`s Friend sehr erfolgreich auf extrascharf. „Sind sie zu stark, bist Du zu schwach“ bringt dies perfekt auf den Punkt.
Das heißt: Wenn man heute einen Marktführer herausfordern will, sollte man aktiv die positive Gegenposition suchen und einnehmen. Nur statt dies zu tun, versuchen viele immer noch den Marktführer mit „besser und billiger“ zu schlagen, um sich dann zu wundern, warum man kläglich scheitert.
(4) Das Prinzip der übervereinfachten Botschaft
1981 schrieben Al und Jack: „Der beste Ansatz, den man in unserer überkommunizierten Gesellschaft nehmen kann, ist die übervereinfachte Botschaft.“ Daraus wurde dann später das Prinzip des Schlagwortes. Im Idealfall lässt sich so die Essenz einer Marke auf ein einziges Schlagwort fokussieren. Hier einige Beispiele:
Marke ….. Fokus
BMW ….. Fahrfreude
Geox ….. atmet
Google ….. Suche
Wagner Pizza ….. Steinofen
Dr. Best ….. nachgebend
Nivea ….. Pflege
Milka ….. zart
Vielen ist das viel zu einfach. Nur die Wahrheit ist: Es ist bedeutend einfacher, ein Markenstatement mit drei, vier oder fünf Attributen zu definieren, als die eine Idee, das eine Schlagwort zu finden, das die eigene Marke wirklich glasklar in den Köpfen der Kunden positioniert. Opel hat sicher heute ein Markenstatement mit mehreren Attributen. Aber wofür steht Opel? BMW steht für Fahrfreude. Audi für Technik. Hyundai für günstig. Opel steht für … . Ich habe keine Ahnung. Wissen Sie es?
(5) Das Prinzip des Namens
In der Positioning-Ära ist die wichtigste Einzelentscheidung die Namensgebung, schrieben Al und Jack. Das gilt heute mehr denn je. Trotzdem gibt es immer wieder Namen wie Creative Nomad Jukebox oder Nokia Booklet 3G. Alleine diese Namensgebung ist Garantie, dass man es nicht in die Köpfe der Kunden schafft. Wie anders klingen da Namen wie iPod oder iPad.
Speziell komplexe Markenarchitekturen führen dazu, dass immer mehr Produkte Namen erhalten, die man sich nur mit einem Wundergedächtnis merken kann. Typisches Beispiele dafür sind etwa L`Oreal Recital Preference Gold Reflexe oder Vichy Dercos Aminexil SP94. Niemand kann sich das merken. Dafür braucht es einen Wunderkunden mit einem fotographischen Gedächtnis. Fatale Folge: Nur so gehen immer mehr Innovationen in der Menge der Innovationen einfach unter, weil man die Kunden maßlos überfordert. Kleiner Test: Können Sie sich an eine konkrete Innovation von Philips in den letzten 10 Jahren erinnern? Können Sie ein konkretes Handy-Modell von Nokia aus dem letzten Jahr nennen?
Starke Markennamen sind einprägsam wie Amazon, Geox, Duracell, Red Bull, Coca-Cola, Ryanair oder Google. Dabei ist der entscheidende Faktor, dass Namen gut klingen, denn graphisch kann man jeden Namen schön aussehen lassen. So erkannte auch der Designer Ralph Lifshitz, dass Ralph Lauren einfach besser klingt. Weise Entscheidung in unserer überkommunizierten Gesellschaft.
(6) Das Prinzip der Markendehnung
Wo immer man hinblickt, werden Marken gedehnt. Geox Schuhe, Geox Bekleidung. Lenor Weichspüler, Lenor Vollwaschmittel. Tempo Papiertaschentücher, Tempo Klopapier. Meister Proper Reiniger, Meister Proper Vollwaschmittel. Red Bull Energydrink, Red Bull Cola. Nespresso Kaffeesystem, Nespresso Schokolade. Schon 1981 schrieben Al und Jack über die Falle der Markendehnung: „Die Logik ist auf Seiten der Markendehnung. Die Realität unglücklicherweise nicht.“
Das Problem: Kurzfristig funktioniert Markendehnung. Nur langfristig zeigen sich die negativen Folgen, wenn Marken überdehnt werden. Speziell gefährlich wird es, wenn die Kunden den Überblick über eine Marke verlieren. Noch gefährlicher wird es aber, wenn die Kunden in ganzen Produktkategorien den Überblick über die einzelnen Marken verlieren. Denn dann stehen die Kunden – mental überfordert – vorm Regal und sagen: „Eigentlich ist alles gleich.“ Nur damit werden der tiefe Preis und vor allem auch die Eigenmarken der Handelsketten für die Kunden immer wichtiger.
So war es auch von Nivea ein weiser Entschluss, die Marke wieder von Schönheitspflege auf den Kernwert Pflege zu refokussieren. Markendehnung wirkt wie der Windkanal bei Automobilen in den 1980er Jahren. Schleichend werden sich alle Anbieter in einer Branche immer ähnlicher und die Marken immer deprofilierter. So sind auch Marken wie Mercedes-Benz, Warsteiner oder Beck’s Bier in den Augen der Kunden nicht mehr das, was sie früher einmal waren.
(7) Das Prinzip der Geduld
Um mit dem Wandel fertig zu werden, muss man heute seine strategische Position für morgen festlegen. Der Marlboro Cowboy ritt 25 Jahre der untergehenden Sonne entgegen, bevor Marlboro endlich die meistverkaufte Zigarettenmarke in den USA wurde. BMW ist seit 40 Jahren Fahrfreude. Audi seit über 25 Jahren Technik.
Nur gerade in unserer schnelllebigen Zeit glauben viele Marken- und Marketingverantwortliche, dass Geduld nicht mehr funktioniert, dass Erfolg über Nacht erzwungen werden muss. Nur das stimmt nicht: Red Bull wurde 1987 eingeführt, Nespresso 1986 (relauncht 1991), oder Geox 1995 im selben Jahr wie Bionade. Selbst der iPod brauchte vier Jahre bis zu seinem Durchbruch und BlackBerry brauchte sechs Jahre, bis man eine Million Nutzer hatte.
Der erste Fressnapf wurde 1990 eröffnet. Heute gibt es über 1000 Märkte. Oder nehmen Sie Ryanair! Wie alt glauben Sie ist Ryanair? Falsch! Ryanair startete 1985. Heute ist man Europas führende Diskontfluglinie. Viele Marken werden nie der Erfolg, der möglich wäre, weil man viel zu oft die Positionierung, den Kurs wechselt. Red Bull machte nach drei Jahren (nur) 2,8 Millionen Euro Umsatz. In einem großen Konzern wäre die Marke entweder eingestellt oder relauncht worden. Nur Dietrich Mateschitz glaubte an seine Idee und setze seinen Weg fort.
Positioning heißt, dass man heute die richtige Idee für morgen findet, um dann diese Idee konsequent umzusetzen. So gesehen werden auch im Namen der Kreativität viel zu oft die Slogans von Marken gewechselt. (Oder kennen Sie etwa den aktuellen Coca-Cola-, Mercedes-, Milka-, Schlecker-, Opel- oder Praktiker-Slogan? Falschverstandene Kreativität lässt grüßen.)
Positioning, die nächsten 30 Jahre
Wie wird es mit Positioning weitergehen? Wird das Konzept in Zukunft gleich wichtig bleiben, noch wichtiger werden oder vielleicht an Bedeutung verlieren? Das hängt vom Umfeld ab. Je größer die Kommunikationsüberlastung ist und sein wird, desto wichtiger wird das Konzept „Positioning“.
So gesehen wird Positioning in Zukunft noch wichtiger werden, denn Tag für Tag wird mehr und mehr über mehr und mehr Kanäle gesendet und immer weniger kommt an. So lautet auch der Schluss im Buch Positioning: „In unserer überkommunizierten Gesellschaft lautet der Name des Spiels Positioning. Und nur die besseren Spieler werden überleben.“ Das gilt heute mehr denn je.
Verwendete und weiterführende Literatur:
Ries, Al und Jack Trout: Positioning: Vahlen, 2012
Ries, Al und Jack Trout: Positioning: The Battle for Your Mind, Mc Graw-Hill, 1981
Ries, Al und Jack Trout: The 22 Immutable Laws of Marketing, HarperBusiness 1993
Über den Autor: Markenstratege Michael Brandtner ist der Spezialist für strategische Marken- und Unternehmenspositionierung in Rohrbach, OÖ und Associate im Beraternetzwerk von Al Ries. Er ist Autor des Buches „Brandtner on Branding“. Sein Markenblog lautet: www.brandtneronbranding.com