Von Linda Gondorf und Johannes Steger
Die Wiederholung des Jahres: Griechenland reloaded
Alle Jahre wieder, kommt die Eurokrise. Immer mittendrin: Der Beinahe-Pleitekandidat Griechenland. Auch 2015 war das wieder so. Der Unterschied: Die griechische Regierung unter Alexis Tsipras war kein so leichter Verhandlungspartner wie die davor. Denn Tsipras wollte sich nicht ohne weiteres dem Brüsseler Spardiktat unterwerfen und stellte selber Forderungen. Irgendwie ganz schön rebellisch.
Die Verkörperung dieser neuen Unangepasstheit war vor allem einer: Finanzminister Yanis Varoufakis. Der erschien bei den Brüsseler Marathonverhandlungen ohne Krawatte und fuhr statt mit der Limousine auch gerne einmal mit dem Motorrad zur Arbeit. Die etwas andere Art zeigte Varoufakis auch auf einer Konferenz: Dort soll er seinen Mittelfinger bei einem Vortrag in die Kamera gehalten haben.
Dass Deutschland mit dieser Pose ein Problem hat, zeigte sich schon anno 2013 als SPD-Kanzlerkandidat seinen Finger im SZ-Magazin in der Reihe „Sagen Sie jetzt nichts“ in die Kamera hielt. Auch der Varoufakische Mittelfinger schaffte es in die Schlagzeilen – und ins Fernsehen. Bei Günther Jauch bestritt der griechische Finanzminister den bösen Finger je gezeigt zu haben. Danach sorgte dann Jan Böhmermann für den Aufreger der Woche, als er ein Video präsentierte, in dem er behauptete, den Mittelfinger ins entsprechende Video montiert zu haben.
Das Hashtag Varoufake war geboren und Deutschland diskutierte: Hat der Moderator die Welt an der Nase rumgeführt? Nein, Böhmermann lieferte nur eine 1A-Satire ab. Wer bei den ganzen Fingern jetzt den Überblick verloren hat, kann noch einmal die ganze Geschichte in einer Meedia-Chronologie nachlesen.
Yanis Varoufakis blieb nicht lange Griechenlands oberster Finanzchef, sondern verabschiedete sich aus dem Amt im Juli – via Twitter: „Minister No More!“ und der motorradfahrende Finanzminister war Geschichte.
Auf Twitter sorgte noch ein weiteres Hashtag für Aufregung: Unter #BoycottGermany machten manche Nutzer Stimmung gegen Deutschland, das aus ihrer Sicht Schuld an der europäischen und griechischen Finanzkrise trage. Sogar der griechische Verteidigungsminister machte bei der Kampagne mit, wie „Handelsblatt.com“ berichtete.
Doch nicht nur Feindseligkeit war Thema, sondern auch Lichtblicke: Wie die Aktion des Briten Thom Feeney, der via Crowd Funding die Schulden für Griechenland auftreiben wollte, immerhin rund 1,6 Milliarden Euro. Gereicht es hat „nur“ für eine knappe Million, aber dennoch war die Aktion ein schönes Zeichen für die europäische Idee.
Der Hashtag des Jahres: #Dieselgate
Statt die besten Autos der Welt zu bauen, hat man bei Volkswagen in den USA eine ausgeklügelte Betrugs-Software installiert, die die Abgaswerte bei Dieselfahrzeuge nur dann absenkt, wenn gerade eine Kontrolle stattfand. #Dieselgate rüttelt den ganzen Sommer über am Selbstverständnis der deutschen Wirtschaft und des deutschen Ingenieurwesens. Denn es handelte sich nicht um Schlamperei oder “Fehler”, sondern um kriminellen Betrug. “Volkswagen TDI Clean Diesel – like really clean diesel” lautete der Werbespruch für den Dieselmotor in den USA, der am Ende des Spots eingeblendet wurde. Warum tut ein Konzern so etwas? Diese Frage lässt sich beantworten: Der Druck war für VW zu hoch, der Markt in den USA zu hart umkämpft. Am Ende bleibt das von dem Skandal übrig: Martin Winterkorn musste gehen, Matthias Müller kam von Porsche. Als erste Geste für Halter von Fahrzeugen mit Betrugssoftware hat der Volkswagen-Konzern Ende November Gutscheine verteilt. Im kommenden Jahr müssen allein in Deutschland rund 2,4 Millionen Autos in die Werkstätten. Und ein Film wird gedreht. Denn Leonardo DiCaprio und das Studio Paramount Pictures haben sich die Rechte an einem Buch über Volkswagens Dieselgate-Affäre gesichert.
Die Verwirrung des Jahres: Google wird ABC
Google lebt wie im August angekündigt unter neuem Firmennamen weiter: Google Inc. ist tot, lang lebe die weltweit größte Beteiligungsgesellschaft für Internet-, Tech- und andere Unternehmen – Alphabet. 17 Jahre nach Erfindung der Suchmaschine sind die Erfinder Sergey Brin und Larry Page der Reduzierung auf das Such-Business müde geworden.Der Fokus liegt nun auf anderen Themen wie: Selbstfahrende Autos, smarte Kontaktlinsen, Datenbrille Google Glass (vielleicht im zweiten Anlauf ein Erfolg?), Smart Home-Anwendungen, Biotech-Start-ups, Robotics-Unternehmen. Das sind die Zukunftspläne von Alphabet – und da passte der Name Google nicht mehr. Google ist also im neuen Alphabet-Konzern nur noch eine von mehreren Tochtergesellschaften – wenngleich die mit Abstand größte und lukrativste. Alphabets CEO Larry Page änderte nach 17 Google-Jahren dann auch mal das altbekannte und vielzitierte Firmenmotto „Don’t be evil“ in das neue Alphabetmotto: „Do the right thing“.
Der Wandel zahlt sich schon aus. Der Internetkonzern, der nun eine Holdinggesellschaft ist, setzte Mitte des Jahres zu einem Höhenflug an der Börse an, der bis heute andauert. Seit Jahresbeginn hat die Aktie nun fast 45 Prozent an Wert gewonnen.
Die Werbung des Jahres: Edeka und das Heimkommen
Bei Edeka versteht man sich nicht nur auf die Liebe zum Lebensmittel, sondern auch auf das Schaffen von viralen Megahits. Das war schon mit der „Supergeil“-Werbung so. Zu Weihnachten schaffte es der Lebensmittelhändler dann nicht nur in den Newsfeed von Facebook, sondern auch in das Wort zum Sonntag. Die Geschichte des Spots: Ein älterer Herr verbringt Jahr für Jahr das Fest der Liebe allein zuhause, seine Familie schafft es einfach nicht zu ihm zu kommen. Er täuscht seinen Tod vor und schließlich kommt die Familie dann doch an Weihnachten zusammen, erleichtert, dass der Opa noch am Leben ist. Doch der Spot fand nicht nur Fans: Manch einer kritisierte, dass man mit dem Tod nicht spiele. Nachahmer gab es auch: Die Bahn setzte den Opa in den Speisewagen und das Duo Joko und Klaas drehten eine eigene Version.
Die Revolution des Jahres: Netflix und Amazon erfinden das Fernsehen neu
Es ist nicht neu, dass Anbieter wie Netflix oder Amazon mittlerweile etablierten Fernsehsendern und sogar Hollywood Konkurrenz machen. Streaming ist in aller Munde oder auch auf jedem Bildschirm. Das schaffen die Anbieter nicht nur mit den Inhalten anderer, sondern auch mit selbst produzierten Kurzfilmen, Dokumentationen oder Serien. Ziemlich genial sind auch die Werbekampagnen mit denen die Streamingplattformen ihre Inhalte bewerben. Amazon sorgte in den USA für Aufsehen, als sie für ihre Alternativweltszenario-Nazi-Serie „The Man in the High Castle“ die Freiheitsstatue mit Hitlergruß auf New Yorker Plakatwände kleben ließen und in einer U-Bahn der Reichsadler auf der Sitzreihe prankte. Netflix hingegen entwarf für die vierte Staffel der Erfolgsserie „House of Cards“ einen eigenen Wahlwerbespot und eine Kampagnenseite für den fiktiven Hauptcharakter Frank Underwood. Marketing-Ideen, von denen sich etablierte Serienmacher gerne etwas abschauen können.
Die Tragödien des Jahres: Charlie, Flug 4U 9525 und Paris
Über das Jahr gibt es immer wieder Themen, die begeistern, aufregen oder verärgern. Es gibt allerdings auch immer wieder solche, die einfach nur bestürzen oder trauern lassen. Auch 2015 ist davon nicht verschont geblieben. Besonders drei Ereignisse haben in ihrem Ausmaß die Welt erschüttert.
Charlie Hebdo: Das neue Jahr war gerade erst sieben Tage alt, da schockierten Meldungen aus Paris. Terroristen waren in die Redaktionsräume des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ eingedrungen und erschossen zwölf Menschen. Das Magazin hatte sich immer wieder kritisch mit den Weltreligionen auseinander gesetzt – auch dem Islam. Die Welt war erschüttert und nahm Anteil wie noch nie. Auf einmal war die ganze Welt ein wenig Charlie. Eine Woche nach dem grausamem Attentat erschien „Charlie Hebdo“ trotzdem: Mit einer Auflage von über fünf Millionen und übersetzt in 16 Sprachen. Die Redaktion bewies damit: Pressefreiheit lässt sich nicht ermorden.
Flug 4U 9525: 10.53 Uhr – zu diesem Zeitpunkt am 24. März bricht die Funkverbindung zu Germanwings-Flug 4U 9525 ab, der aus Barcelona kommend auf dem Weg nach Düsseldorf ist. 8 Minuten lang befindet sich die Maschine im Sinkflug, bevor sie in den französischen Alpen zerschellt. Die 144 Passagiere und die sechs Crew-Mitglieder kommen ums Leben. Der Co-Pilot hatte den Absturz absichtlich eingeleitet. Eine Katastrophe, die Deutschland für eine lange Zeit stiller werden ließ.
Paris: Erholen kann sich wahrscheinlich niemand von dem Horror, den Paris während und nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ erlebte. Doch am 13. November steigerten sich die Terroristen auf eine Art und Weise, die in ihrem Schrecken wohl niemand für möglich gehalten hatte. In einer beispiellosen Anschlagserie überzogen die falschen Glaubenskrieger die französische Hauptstadt mit Mord und Horror. An fünf Orten eröffneten sie das Feuer auf Passanten, Restaurant- und Konzertbesucher oder sprengten sich selbst in die Luft. 130 Menschen kamen ums Leben, 352 wurden zum Teil schwer verletzt. Die Welt schaute auf Paris und trauerte. Überall auf dem Globus erstrahlten die französischen Nationalfarben, nach dem Anschlag sangen im Wembley-Stadion französische und englische Fußballfans gemeinsam die Marseillaise. Auch viele Unternehmen zeigten ihre Solidarität. Nach den Momenten des Trauerns, Schweigens und Gedenkens fand US-Talker John Oliver nach den Anschlägen eine Antwort: „F*ck those assholes!“