1,5 Grad Celsius ist eine Barriere im Kopf

Extremwetterereignisse, Verfassungsgerichtsurteile, Klimaangst – you name it! –, die Fakten liegen auf dem Tisch. Eine Kolumne von Jule und Lukas Bosch
Jule und Lukas Bosch: "Die CO2-Reduktionskurve ist so ziemlich das uninspirierendste Emblem des Wandels." (© Abbi Wensyel (Montage: Olaf Heß))

Warum passiert da trotzdem immer noch so wenig? Warum arbeiten wir uns in völliger Selbstaufopferung an unseren imperfekten Konsumgewohnheiten ab, während die Politik im Lobby-Sumpf halbherzige Entscheidungen trifft und bis heute der Großteil der Manager*innen Nachhaltigkeit für ein Imagerisiko hält, dem man mit Markenkampagnen begegnet?

Natürlich kann man sich die einzelnen Akteur*innen ansehen und analysieren, was jeweils schiefläuft. Das Problem ist jedoch grundsätzlicher: Wir haben uns aufgrund der Spielregeln politischer Prozesse einfach richtig schlechte Ziele gesetzt. Und das fällt uns jetzt bei der Umsetzung der Nachhaltigkeits-Transformation auf die Füße. Mit dem 1,5-Grad-Ziel haben 195 Länder der Erde vereinbart, bis 2050 die CO2-Emissionen auf null zu reduzieren, um die Erwärmung zu begrenzen. So weit, so sinnvoll.

Doch wie schaffen wir es, dass alle mitmachen wollen? Das 1,5-Grad-Ziel ist in etwa so sexy, als hätte J. F. Kennedy im Rahmen der Mondmission gesagt: „Es wird unheimlich teuer für die Steuerzahler und es ist auch technisch so gut wie unmöglich, aber da müssen wir jetzt durch, basta.“ Die Mission wäre in einem Sturm aus medialer Empörung abgeblasen worden.

KPIs für eine lebenswerte Zukunft

Oft werden wir als Berater in Projekten gefragt: „Wir versuchen schon so gut es geht, unseren CO2-Fußabdruck zu reduzieren, was sollen wir denn noch alles tun?“ Das zeigt, wie unklar das eigentliche Ziel unser aller Anstrengungen ist. 1,5 Grad ist kein Ziel. Null Emissionen auch nicht. Wenn überhaupt, sind es KPIs für eine lebenswerte Zukunft. Stattdessen werden sie zu Barrieren für die Transformation, denn Unternehmen orientieren sich damit am Mindestmaß der nötigen Veränderung – und erreichen schließlich noch nicht einmal das.

Auch ist die CO2-Reduktionskurve so ziemlich das uninspirierendste Emblem des Wandels, das man sich vorstellen kann. Wohin führt diese Kurve? Was passiert am Nullpunkt? Sind wir dann Weltmeister im „Weniger-schlecht-Sein“? Etwas Gutes für den Planeten tun wir damit noch lange nicht.

Wir brauchen einen Perspektivwechsel

Um diese Misere aufzulösen, brauchen wir einen Perspektivwechsel: Wir drehen die Kurve um! Wir machen aus der Barriere für unsere Vorstellungskraft eine Sprungschanze für unsere Zukunftsfähigkeit. Hinter der Null geht’s erst richtig los! Da wird Nachhaltigkeit vom Kostenfaktor zum Innovationsfaktor, zu der Aufgabe, mit der Unternehmen vom Problem zum Teil der Lösung werden können. Hinter der Null schrauben wir nicht mehr nur an unserem CO2-Ausstoß, wir transformieren Wirtschaft und Gesellschaft so, dass wirtschaftlicher Erfolg zu weniger CO2, mehr Biodiversität, besseren Böden, gesunden Meeren führt. Schadschöpfung wird Wertschöpfung wird Regeneration.

Wäre doch auch eine schöne Markenbotschaft … Nachhaltigkeit beyond Greenwashing. Wollen wir loslegen?

Jule und Lukas Bosch sind partner in life, crime & business – und kurzum als Business-Aktivist*innen tätig. Sie beraten Unternehmen zu Transformation und Nachhaltigkeit.


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Initiative des Monats: Patagonia Action Works

Patagonia Action Works hilft Menschen dabei, aktiv zu werden – dort wo sie sind und für die Themen, die sie interessieren. Die Plattform wurde vom Amerikanischen Outdoor-Ausstatter Patagonia gegründet und verbindet weltweit NGOs, Vereine und Initiativen mit potenziellen Mitstreiter*innen für Aktionstage, ehrenamtliche Mitarbeit oder für die Unterstützung von Petitionen.

Diese Kolumne erschien zuerst in der März-Printausgabe der absatzwirtschaft.

Jule und Lukas Bosch beraten Unternehmen zu den Themen Transformation und Nachhaltigkeit. Ihr gemeinsames Motto lautet: "Unternehmen statt Unterlassen – denn Zukunft wird gemacht."