15.000 Cover für die absatzwirtschaft

Das Cover der neuen absatzwirtschaft stammt von der Agentur Philipp und Keuntje und wurde mit KI erstellt. Online gibt es weitere 14.999 Varianten. Im Interview erklärt PuK-Kreativgeschäftsführerin Marjorieth Sanmartin die Idee.
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Falls das gedruckte Cover nicht exakt Ihren Geschmack trifft, suchen Sie sich online ein anderes aus. (© Philipp und Keuntje, Montage: Olaf Heß)

Dieses Mal gibt es nicht ein, zwei oder drei, sondern gleich 15.000 verschiedene Cover für die neueste Ausgabe der absatzwirtschaft. Für deren Generierung hat die Agentur Philipp und Keuntje, kurz PuK, ihre eigene lokale KI genutzt. Falls das gedruckte Cover also nicht exakt Ihren Geschmack trifft, suchen Sie sich online ein anderes aus (alles CO2-neutral mit Strom von EWS, versteht sich).

Hier finden Sie Ihr „eigenes“ Cover.

Im Interview erklärt Marjorieth Sanmartin, die Kreativgeschäftsführerin bei Philipp und Keuntje, die Idee hinter dem Cover und wie es entstanden ist.

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Marjorieth Sanmartin leitet seit August 2023 die kreativen Geschicke der Hamburger Agentur Philipp und Keuntje. Foto: Philipp und Keuntje

Frau Sanmartin, 15.000 Cover, wo doch nur eines gefragt war: Wie kamen Sie auf diese Idee?

Das Thema der Ausgabe, für die wir das Cover gestaltet haben, lautet „Data & Innovation“. Thematisch geht es dabei aber nicht um Jubelarien auf technische Entwicklungen, sondern um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema – um durch einen kritischen Blick Daten schließlich besser für Innovationen nutzen zu können. Einer der Artikel im Heft beschäftigt sich mit dem Thema „Verzerrte Daten“ – also Daten, die aus unterschiedlichen Gründen falsche Erkenntnisse liefern. Das war einer unserer Aufhänger. Dabei mussten wir selbst feststellen, dass es nach Jahren des Big-Data-Booms eine Überflutung mit Daten gibt.

Welche Aufgabe geht damit für uns Menschen einher?

Die Herausforderung besteht nun darin zu verstehen, was wir mit diesen Daten anfangen sollen, woher sie stammen – und ob wirklich Menschen dahinterstecken. Es ist bemerkenswert, dass mehr als 50 Prozent des Internet-Traffics durch Bots generiert werden, was die Schwierigkeit erhöht, klare Schlüsse aus den massenhaft gesammelten Daten zu ziehen. Die Problematik verzerrter Daten ist wie ein Elefant im Raum der digitalen Welt, was sich auch in der Zunahme von Fake-Account-Löschungen auf Plattformen wie TikTok um 1200 Prozent im letzten Jahr manifestiert. Einige Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 20 Prozent aller Accounts auf Twitter und Facebook Bots sein könnten – also jeder fünfte User. So kamen wir schnell auf die Idee der massenhaften Cover …

die sie auch unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz erstellt haben.

Um diesen verzerrten Daten ein „Gesicht“ zu geben, haben wir 15.000 Cover mit der KI Stable Diffusion erstellt. Diese digitalen Personas stehen für Bots, Fakenews, unseriöse Umfragen, Filterblasen, Anonymität, algorithmisches Framing und alle weiteren Verzerrungen, die einen erheblichen Einfluss auf die Meinungsbildung und die Gestaltung unserer digitalen aber auch echten Welt haben. Durch das Sichtbarmachen dieser sonst unsichtbaren Personas wollten wir ihnen eine visuelle Präsenz verleihen und so auch für die Thematik sensibilisieren. Die Zahl 15.000 wurde in Anlehnung an die Auflage der absatzwirtschaft gewählt, um allen Abonnenten ein einzigartiges Cover zu bieten und um das Gefühl der Überwältigung durch die schiere Menge an Daten zu vermitteln.

Welche anderen Ideen sind im kreativen Prozess entstanden?

Die Basis für uns war immer der kritische Blick der absatzwirtschaft auf das Thema. Damit der Titel auch ein Versprechen abgibt, dass das Heft einlösen kann. Auf dieser Basis haben wir zum Beispiel auch Lösungen überlegt, die noch stärker technisch geprägt waren – was bei so einem Thema ja naheliegt. Allerdings erwiesen die sich immer als hochkomplex aufgrund des Datenschutzes oder einfach als zu teuer. Neben komplexen Cover-Ideen hatten wir im Prozess auch ganz klassische Titelideen. Weil es in einem Artikel um Bauchgefühl versus Datengläubigkeit geht, bildeten wir zum Beispiel vollflächig einen Bauch ab und schrieben „Bauchgefühl versus Datengläubigkeit“ drauf. Es war aber kein Sixpack, sondern ein schöner behaarter Bierbauch. Sorgt einfach für mehr Aufmerksamkeit. Diese Idee wurde zwar nicht der Titel, kam aber ins Heft als Aufmacher für den Artikel.

Wieso hat sich die Idee der massenhaften Cover schließlich durchgesetzt?

Am Ende haben wir uns aber für die Lösung mit dem verzerrten KI-Bild auf dem Titel und den 14.999 weiteren auf der nachgelagerten Webseite entschieden. Weil der Titel dadurch ein Hingucker ist. Weil die passende Titel-Headline dazu neugierig macht. Weil es im weiteren Sinne eine datenbasierte, technische Lösung ist. Und weil so die gesamte Idee stimmig ist und perfekt zum Heft passt.

Sie haben Sie das Konzept der 15.000 Cover mithilfe Ihrer eigenen generativen Kl umgesetzt. Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Zu Beginn haben wir mithilfe unserer eigenen KI-Technologie Bilder generiert, die unseren Vorstellungen entsprachen. Um die typischerweise perfekten Gesichter absichtlich zu verzerren, haben wir verschiedene KI-Modelle nacheinander eingesetzt – ein Ansatz, der in der KI-Entwicklung üblicherweise vermieden wird, da er gegen das Bestreben nach Genauigkeit und Realismus geht. Mit Midjourney zum Beispiel ist so eine Umsetzung nur mit viel Prompten eventuell machbar, da das Modell auf absolute Perfektion konditioniert wurde. Darüber hinaus war für uns Midjourney in Bezug auf Nachhaltigkeit keine Option für 15.000 Bilder. Unsere eigene KI braucht weniger als ein Zehntel des Stromes für ein perfektes Bild – und wird zu 100 Prozent aus erneuerbaren Strom von EWS betrieben.

Nach einigen Experimenten mit unserer KI fanden wir das optimale Setup, das genau die Magie erzeugte, bei der jedes Bild genau die gewünschte Qualität für ein Cover aufweist. An diesem Punkt mussten wir lediglich die gewünschte Anzahl an Bildern festlegen, woraufhin der KI-Rechner über mehrere Tage hinweg arbeitete. Um sicherzustellen, dass die Bilder vielfältig bleiben, führten wir etwa alle 500 Bilder bewusst Variationen ein. Auch Datamoshing wie ASCII-Art und Glitchartstile wie Data Corruption oder Pixelsorting wurden dabei bewusst als Prompt eingesetzt – auch einfacher Datenmüll wie “dcnlk23io” finden sich in einigen Prompts. Dies gab der KI genügend Spielraum, um kontinuierlich neue Gestaltungskonzepte zu entwickeln. Einige dieser Konzepte dienten uns als Ausgangsbasis für weitere Variationen, wodurch wir ein breites Spektrum an Visualisierungen erzeugen konnten.

Welche Personen waren am kreativen Prozess der Cover-Entstehung beteiligt?

Für das Projekt bildeten wir ein Team aus unseren Creative Directors Ingo Müller und David Girard sowie unserem Executive Director Nicolas Klein mit unserem Senior Copywriter und KI-Spezialisten Lukas Bausch, um die Ideen zu entwickeln. Im Austausch mit unserem Head of Creative Tech Dirk Mävers wurde die Idee dann finalisiert.

Wie lief die Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI ab?

Nachdem die Idee entstanden war, begann Lukas Bausch mit ersten Experimenten. Die größte Herausforderung dabei war das gezielte Verzerren der Gesichter, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Nachdem eine Reihe von Bildern generiert wurde, erfolgte eine sorgfältige Auswahl, um die besten Ergebnisse für die nächste Phase vorzubereiten – die Massenproduktion. Interessanterweise wurden bestimmte „Fehler“ der KI, wie beispielsweise asymmetrische Augen, bewusst in das Endprodukt integriert. Dies verlieh den Bildern eine einzigartige Ästhetik und zeigte, dass die KI nicht nur ein Werkzeug, sondern auch ein kreativer Partner im Gestaltungsprozess war.

Was soll dieses fertige Cover beziehungsweise die „Coverflut“ über die Verbindung von Kreativität und Daten aussagen?

Durch die Gestaltung massenhaft verzerrter Cover haben wir einen Weg gefunden, trockenen und verzerrten Daten eine kreative und eindrucksvolle Visualität zu verleihen. Cookie- und AGB-Einwilligungen, die wir aus Gewohnheit schnell akzeptieren, bekommen so eine neue Tiefe. Diese Transformation dient als Erinnerung daran, dass jeder Datensatz eine Geschichte birgt, die erzählt werden möchte – sei sie auch noch so kryptisch oder verzerrt. Es verdeutlicht, dass Kreativität die Macht hat, selbst den rationalsten Daten eine emotionale Dimension zu verleihen, indem sie diese in Kunst verwandelt, die berührt und inspiriert. Gleichzeitig ist es aber auch eine Warnung: Mithilfe von KI kann die Datenflut nochmals massiv skalieren. Während KI unglaubliche Möglichkeiten für Kreativität und Innovation bietet, birgt sie auch das Risiko einer Überproduktion von Daten, was die Fähigkeiten, diese zu verarbeiten und sinnvoll zu nutzen, übersteigen kann. Diese Dualität fordert uns auf, bewusst über den Einsatz von Technologie nachzudenken und sicherzustellen, dass wir die Werkzeuge, die wir entwickeln, verantwortungsvoll und nachvollziehbar einsetzen.

Die „Coverflut“ ist auch ein Kommentar zur aktuellen Lage im Spannungsfeld von Daten, Technologie und menschlicher Kreativität. Sie lädt dazu ein, über den Wert von Daten nachzudenken, die Möglichkeiten kreativer Datennutzung zu erkunden und die ethischen Überlegungen zu berücksichtigen, die mit der zunehmenden Verflechtung von KI und unserem täglichen Leben einhergehen.

(tht, Jahrgang 1980) ist seit 2019 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Davor war er zehn Jahre lang Politik- bzw. Wirtschaftsredakteur bei der Stuttgarter Zeitung. Der Familienvater hat eine Leidenschaft für Krimis aller Art, vom Tatort über den True-Crime-Podcast bis zum Pokalfinale.