Auch Scott Galloway liegt mal daneben. „Snap ist lächerlich überbewertet”, kritisierte der Marketing-Professor im Januar auf dem DLD in München. Zwei Wochen zuvor hatte der 54-Jährige in seinen Vorhersagen für 2019 sogar prognostiziert, die Snapchat-Mutter werde sich abermals halbieren.
Galloways mahnende Worte sind nichts Neues. Kurz nach dem missratenen Börsengang hatte der Bestseller-Autor („The Four“) den sieben Jahre alten Mutterkonzern von Snapchat bereits schwer abgewatscht: „In Snap zu investieren, ist wie betrunken Auto zu fahren. Kein verantwortungsvoller Mensch würde das tun“, fällte Galloway ein vernichtendes Urteil.
Quartalsbilanz startet Turnaround
Allerdings: Wer sich zu Jahresbeginn auf die Fahrt mit Snap eingelassen hätte, hätte nach nicht einmal einem Quartal spektakuläre Gewinne für ein ganzes Börsenjahr eingefahren. Statt sich, wie von Galloway prognostiziert, zu halbieren, hat sich die Snap-Aktie nämlich binnen gerade einmal zwei Monaten tatsächlich verdoppelt. Bei inzwischen wieder über 11 Dollar notiert der Mutterkonzern von Snapchat nunmehr auf dem höchsten Niveau seit mehr als einem halben Jahr.
Allein: Wie kommt das unerwartete Comeback zustande? Auslöser für den Turnaround waren maßgeblich die Anfang Februar veröffentlichten jüngsten Geschäftszahlen, die besser ausfielen als von der Wall Street befürchtet. Zwar verbrannte der Stories-Erfinder im Schlussquartal immer noch 191 Millionen Dollar, doch die horrenden Verluste halbierten sich binnen eines Jahres. Ebenfalls mit Erleichterung zur Kenntnis genommen wurde von der Wall Street die Stabilisierung der Nutzerzahlen: Nach zwei Quartalen im Rückwärtsgang blieb die Zahl der täglich aktiven Nutzer im Dezember-Quartal bei 186 Millionen nunmehr konstant.
„Alles, was nur schiefgehen konnte, ging für Snap seit dem Börsengang schief“
Nachdem der freie Fall gestoppt scheint, äußern sich inzwischen auch die Analysten wieder positiver. Vergangene Woche revidierte BTIG-Analyst Rich Greenfield seine Einschätzung zur Aktie von „Halten“ auf „Kaufen“ mit einem Kursziel von 15 Dollar. Greenfield hat damit eine 180-Gradwende gegenüber vergangenem September vollzogen, als er mit einem Kursziel von 5 Dollar empfahl, Snap-Aktien zu verkaufen.
Der Grund für den drastischen Meinungswechel: Das Schlimmste scheint hinter dem Social Media-Anbieter zu liegen. „Alles, was nur schiefgehen konnte, ging für Snap seit dem Börsengang schief“, schrieb Greenfield am vergangenen Donnerstag in einer Kurzstudie, die dem Finanzinformationsdienst Bloomberg vorliegt. „2018 war ein schreckliches Jahr für Snapchat. Die Moral war auf dem Tiefpunkt angekommen.“ Nun will der BTIG-Analyst ausgemacht haben, dass sich die Stimmung verbessert habe.
Werbe-Klima in den USA hellt sich auf
Das gilt auch für das Klima auf dem Werbemarkt, das sich zuletzt aufgehellt habe. Greenfield rechnet damit, dass sich die Überarbeitung der Android-App bezahlt gemacht habe und Nutzer häufiger den Discover-Bereich (der in der deutschen App „Entdecken“ heißt) ansteuern würden, in dem Snapchat durch Werbeeinblendungen zwischen den Stories und durch gesponserte Beiträge Geld verdient.
Der BTIG-Analyst rechnet zudem damit, dass Snapchat den Discover-Bereich weiter verbessern und professionelle Beiträge von Medienanbietern und Nutzerstories trennen dürfte. Die Folge dürfte eine verbesserte Nutzererfahrung und damit ein attraktiveres Umfeld für Werbekunden sein, mutmaßt Greenfield.
Deutsche Leitmedien wie Spiegel Online oder Bild.de planen unterdessen weiter mit ihrer Präsenz im Discover-Bereich von Snapchat. „Es ist Potenzial für Wachstum vorhanden, von dem auch wir profitieren könnten“, erklärte vergangene Woche etwa Torsten Beeck, Leiter Platform Partnerships & Engagement bei Spiegel Online, gegenüber MEEDIA.
Neue Erlösquelle Gaming
Und damit nicht genug. Der Messenger- und Stories-App-Anbieter dürfte im April einen neuen Erlösstrom erschließen. Unter dem Codenamen „Project Cognac“ plant Snapchat offenkundig seit Längerem den Start einer Gaming-Platform. Wie das Online-Portal Cheddar berichtet, soll Snap die Plattform am 4. April auf seiner ersten „Content and Developer“-Konferenz in Los Angeles bekannt geben.
Die Spiele-Plattform soll dabei in die Snapchat-App integriert sein. Snap hatte im vergangenen Jahr das australische Spielestudio Prettygreat erworben, das die Spielehits “Fruit Ninja” und “Jetpack Joyride” herausgebracht hat. 2018 hat Snap ebenfalls den Spiele-Entwickler PlayCanvas übernommen.
Mit Online-Spielen könnte sich Snap gleich doppelt neue Erlösquellen erschließen – nämlich durch In-App-Käufe oder Werbeeinblendungen bei den Spielen. Wie es scheint, hat die Börse in den vergangenen Wochen bereits einen Teil des zukünftigen Umsatzpotenzials vorweggenommen.